Denken, Lernen, Selbstlernen |
aus: S. u. N. Ostrander/L. Schroeder, "Superlearning"
Die revolutionäre Lernmethode, Leichter lernen ohne Stress,
Goldmann Verlag TB, München, 1990, S. 66 - 126
Als man im Westen zum ersten Mal von dem Supermemory-System hörte, konnten sich viele nicht erklären, wie es funktionierte. Man spielte Musik, setzte sich in bequeme Stühle und hörte Sprachtonbänder ab, aber es geschah nichts. Das blitzschnelle Lernen schien sich dem Zugriff zu entziehen.
Die beiden grundlegenden »Geheimnisse« sind der entspannte Zustand und der synchronisierte Rhythmus. Losanow ( Lozanov) und andere vereinigten Elemente aus gänzlich verschiedenen Gebieten zu einer Synthese. Diese Vielfalt trieb manche Spezialisten, die ergründen wollten, wie Superlearning funktioniert, ebenso zur Verzweiflung wie Nichtfachleute. Darum soll zunächst ein Überblick über die einzelnen »aktiven« Bestandteile gegeben werden, die grundlegend sind für die Methode, sowie einige weitere Aspekte angesprochen werden, die Ablauf und Erfolg des Ganzen mit beeinflussen.
Superlearning ist eine Art ganzheitlicher Erziehung
auf der Grundlage der Harmonisierung von Körper und Geist.
Sie beruht auf der Vorstellung, dass der Geist schneller und leichter lernen kann, wenn auch der Körper besser funktioniert. Schon vor Jahren haben die Physiologen erkannt, dass die Fähigkeit, sich Gelerntes zu merken, bei entspannter Muskulatur steigt. Wenn wir unser Herz trainieren könnten, langsam zu schlagen, während wir denken, würde uns geistige Arbeit leichter fallen. Dr. Barbara Brown stellt in ihrem Buch New Mind, New Body (»Neuer Geist, neuer Körper«) fest: »Ein langsamerer Herzschlag steigert die geistige Leistungsfähigkeit enorm.« Ein langsamerer Herzschlag bedeutet buchstäblich »Ferien« für das Herz. Im allgemeinen schlägt unser Herz siebzig- bis achtzigmal in der Minute. Nach dem Urteil der Fachleute wären wir gesünder und geistig leistungsfähiger, wenn wir unseren Herzschlag auf etwa sechzig Schläge pro Minute reduzieren könnten. Man kennt bereits zahlreiche biologische Faktoren, die das Lernvermögen steigern, aber sie wurden einfach nicht angewandt.
In den Jahren, als Losanow Menschen mit übersinnlichen Kräften untersuchte - Yogis mit Supergedächtnis und lebende Rechenmaschinen -, entdeckte er noch etwas über, den Zusammenhang von Körper und Geist. Instrumente zeigten an, dass im Augenblick ihrer erstaunlichen geistigen Leistungen der Körper dieser Menschen ganz entspannt war und ihre Gehirnwellen einen gleichmäßigen Alpha-Rhythmus (sieben bis vierzehn Zyklen pro Sekunde) hatten. Sie brauchten ihr Hirn nicht zu zwingen oder sich willentlich anzustrengen. Alles geschah ganz mühelos. ja, es schien gerade deshalb zu geschehen, weil keine körperliche oder geistige Anstrengung im Spiel war.
Das war offenbar ein Paradox, meinte Losanow, denn hier gingen Entspannung und intensive geistige Arbeit Hand in Hand. Es wird allgemein angenommen, dass bei schwerer geistiger Arbeit Puls und Blutdruck steigen und die Gehirnwellen die Beta-Stufe erreichen (vierzehn Schwingungen pro Sekunde und mehr).
Es gibt viele Entspannungs- und Meditationsmethoden, die Verspannungen lösen und den Körper in einen gelockerten Zustand versetzen können. Ließe sich ein Weg finden, den Körper auf diese Weise zu entspannen, während gleichzeitig das Gehirn phantastische mathematische und sprachliche Probleme löst? Wenn der Motor des Körpers ruhig bleiben könnte, anstatt zu rasen, während der Geist »angekurbelt« ist, lägen intellektuelle Spitzenleistungen im Bereich des Möglichen.
Nach ausgiebigen Experimenten in seinen physiologischen Labors kam Losanow zu dem Schluss, dass physische Entspannung allein nicht ausreichte. Wäre nur Entspannung vonnöten, würden wohl all jene, die in den Unterrichtsstunden am frühen Morgen vor sich hindösen, mit glänzenden Leistungen aufwarten. Im tiefen Entspannungszustand kann man sich jedoch nicht gut konzentrieren, und ohne Konzentration bleiben Lernvermögen und Gedächtnis schwach. Wenn man sich dagegen konzentriert, ist es mit der Entspannung vorbei, und der Stress kehrt wieder.
Mit Hilfe der Musiktheorie des Yoga und den Erkenntnissen der psycho-akustischen Forschung machte Dr. Losanow eine wichtige Beobachtung. Er entdeckte, dass eine ganz spezifische Art von Musik mit einem ganz spezifischen Rhythmus einen entspannten Körperzustand herbeiführen kann, der sich grundlegend von anderen Formen der Entspannung unterscheidet. Bei der Entspannung durch Musik blieb der Geist wach und konzentrationsfähig.
Im Gegensatz zu anderen Formen der Meditation brauchte man nichts zu tun, als diese Musik abzuspielen. Man musste sich nicht auf die »Meditation« einlassen, sondern konnte sich mit dem vorliegenden Lehrstoff befassen. Physiologen fanden heraus, dass die Körperrhythmen - Herzschlag, Gehirnwellen usw. - die Neigung haben, sich dem Takt der Musik anzugleichen. Losanow setzte daher klassische Musik mit einem sehr langsamen, getragenen, beruhigenden Rhythmus ein. Die Körperfunktionen der Schüler passten sich diesem Takt an und fanden Entspannung durch einen besseren und gesünderen Rhythmus.
Während dieser Konzerte waren die Testpersonen an physiologische Messinstrumente angeschlossen. Das Ergebnis war außerordentlich. Es glich genau dem Resultat, das die amerikanischen Forscher Wallace und Benson aus der Meditation ableiteten: Der Herzschlag verlangsamte sich durchschnittlich um mindestens fünf Schläge pro Minute; der Blutdruck sank, die Beta-Wellen des Gehirns verringerten sich zugunsten des langsameren Alpha-Rhythmus. (Die langsamen Theta- und Delta-Wellen nahmen ebenfalls ab; dieser entspannte Zustand war also kein Dösen.)
Losanow hatte das Unmögliche möglich gemacht: Wir können gleichzeitig entspannt und geistig hellwach und aufnahmefähig sein. Wir brauchen also nicht zu schlafen, wir brauchen uns nicht in hypnotische Trance zu begeben, um den Anschluss an weitere Dimensionen unseres Selbst zu finden und weit über die Norm hinaus lernen und erinnern zu können, wir brauchen nur eins: das Klangfeld der richtigen Musik.
Dieses wohltuende Gefühl entspannter Wachheit durch Musik ist ein Grund dafür, dass der Funke zündet und Superlearning sich entwickelt. Der Körper setzt seine Energien besser, effektiver ein, was außerdem erklärt, dass die Kursteilnehmer »ganz nebenbei« verschiedene gesundheitliche Probleme loswurden, während sie eine Sprache lernten. Die positiven physischen Folgen vieler Meditations- und Entspannungskurse kommen also auch in diesem Fall zum Tragen.
Losanow ist keineswegs der erste Arzt, der sich mit Entspannungstechniken beschäftigt hat, und auch nicht der erste Hypnosespezialist, der nach einem Weg suchte, wie man die positiven Wirkungen der Hypnose nutzen könnte, ohne dass der Mensch die Kontrolle über seinen Geist aufzugeben braucht. Wir erwähnten bereits J.H. Schultz, der in den dreißiger Jahren das autogene Training entwickelte, ein System der körperlichen und geistigen Selbstkontrolle, das in Europa in der Medizin und neuerdings auch im Sport weite Verbreitung fand. Schultz entdeckte, dass echte Entspannung einen gesteigerten Bewusstseinszustand hervorruft im Unterschied zur »Tunnelvision« der Hypnose. Bei seiner eigenen Arbeit ist Losanow zu denselben Erkenntnissen gelangt.
Während des musikalischen Unterrichtsteils erleben die Menschen verschiedene Stufen der Entspannung. Daraus erklärt sich nach Ansicht Losanows die unterschiedliche Menge des erinnerten Lehrstoffs. Die Forscher Prichard und Taylor aus Georgia kamen zu demselben Ergebnis: je besser die Schüler sich entspannen können, desto größer ihr Lernerfolg.
Ursprünglich absolvierten Losanows Schüler in Bulgarien ein viertägiges Entspannungstraining zur Vorbereitung. In Moskau wurde zur Entspannung der Schüler autogenes Training eingesetzt. Losanow hält das Entspannungstraining jetzt nicht mehr für notwendig, und das ist es wohl auch nicht bei dem etwas langsameren Lebensrhythmus Bulgariens. Amerikanische Benützer der Schnell-Lernmethode stellten jedoch fest, dass bei unserem hektischen Alltag eine Woche bis zehn Tage Entspannungstraining nötig sind, bevor es einem gelingt, sich wirklich zu entspannen und von der Musik zu profitieren. Für die meisten von uns ist Entspannung eine Fertigkeit und keine automatische Reaktion. Wenn man die Technik einmal beherrscht, kann man sich ihrer jederzeit leicht bedienen, ansonsten nutzt auch der Befehl »Entspannen Sie sich!« gar nichts. Deshalb haben wir ein Anleitungsprogramm zur Entspannung in dieses Buch aufgenommen (siehe S. 95ff.).
Der Pulsschlag des Gedächtnisses
Yogi Ramacharaka fasst das Wesentliche des Yoga in seinem Werk "The Science of Breath" (»Die Wissenschaft vom Atem«) wie folgt zusammen: »Der Rhythmus bringt den gesamten Organismus einschließlich des Gehirns unter vollkommene Kontrolle und in vollkommene Harmonie. Dadurch wird die günstigste Voraussetzung für die Entfaltung ... latenter Fähigkeiten geschaffen.«
Losanow untersuchte die Beziehung von Rhythmus und Lernen. Wenn der Lernstoff in rapidem Tempo, bei Zeitabständen von nur einer Sekunde dargeboten wurde, behielten die Schüler nur ungefähr zwanzig Prozent, bei Intervallen von fünf Sekunden etwa dreißig Prozent und bei einer Pause von zehn Sekunden zwischen jeder Lerneinheit sogar über vierzig Prozent. Das Vokabellernen erweist sich demnach als erfolgreicher, wenn man nicht öfter als alle zehn Sekunden ein neues Wort hört.
Losanows interessante Entdeckung bestand nun darin, dass ein kontinuierlicher, monotoner Lernrhythmus von etwa zehn Sekunden die Erinnerungsfähigkeit des Geistes offenbar besonders aktiviert. Aber - richtiges »Timing« ist alles, sagt man; und beim Superlearning erwies sich der Rhythmus zunehmend als ein sehr »lebendiger« Faktor und die zehn Sekunden keineswegs als sakrosankt. Wir wissen Bescheid über den Herzschlag, aber was hat es mit dem »Pulsschlag des Gedächtnisses« auf sich?
Die Bulgaren begannen mit einer Lernstoffvermittlung im Acht-Sekunden-Rhythmus. Warum nicht alle zehn Sekunden? Vielleicht wollten sie sich dem Takt der Musik anpassen, der gewöhnlich kein Fünfer- oder Zehnertakt ist. Die amerikanischen Benützer des Systems wiederum stellten eine Gedächtnissteigerung fest, wenn die Hauptlerneinheiten alle acht und alle zwölf Sekunden betont wurden.
Losanows System geht bis zu einem gewissen Grad auf Methoden zur Beschleunigung des Lernens und zur Steigerung der Kreativität durch Erweiterung des Zeitsinns zurück, die in Amerika erforscht wurden. In den fünfziger Jahren untersuchten zwei Ärzte, Linn Cooper und der berühmte Hypnosespezialist Milton Erickson, die gleichförmige Rhythmik. Sie stellten ein Metronom auf sechzig Schläge pro Minute ein und verwendeten einen Aktivitätszyklus von zehn Sekunden. Der Takt verlangsamte offenbar die psychophysischen Funktionen. Die hypnotisierten Versuchspersonen, die dem Ticken des Metronoms zuhörten, erlebten die Schläge subjektiv als langsamer im Vergleich mit der Uhrzeit. Die Zeit dehnte sich für sie buchstäblich aus. Eine Frau konnte beispielsweise in Sekundenschnelle ein Kleid entwerfen. Der Hypnotiseur sagte ihr, sie hätte eine ganze Stunde zur Verfügung, und sie selbst hatte auch den Eindruck, so viel Zeit zu haben. Sie war gewissermaßen der Zeit entrückt und daher frei von der Vorstellung, so und so viele Minuten oder Stunden zur Durchführung eines bestimmten Projekts zu brauchen. »Zwanglos« konnte sie wie die lebenden Rechenmaschinen Außergewöhnliches leisten.
Es war Dr. Losanows Idee, solche rhythmischen Methoden im Wachzustand einzusetzen.
Einerseits steigerte der Rhythmus das Erinnerungsvermögen, wie Losanow herausfand, andererseits stand er der Entwicklung von Supergedächtnis eindeutig im Wege: Die Monotonie der rhythmischen Wiederholung wirkte einschläfernd.
Losanow und seine Mitarbeiter lösten das Problem, indem sie drei verschiedene Arten der Intonation für das rhythmisch vorzutragende Material vorschrieben:
Wenn man beim Lernen außer Atem kommt, muss man erst einmal versuchen, seine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Rhythmus und Atmung sind für die Entwicklung von Supergedächtnis gleicher Weise von Bedeutung, wie genaue Untersuchungen der beiden Komponenten ergeben haben. Wenn die Leute im Rhythmus zu einem rhythmisch vorgetragenen Material atmeten, so ließen allein diese beiden Faktoren den Lernerfolg um 87 Prozent ansteigen.
Doug Shaffer, der amerikanische Lehrer im Iran, machte die gleiche Erfahrung. Er vermutet, dass die rhythmische Atmung zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Gehirns und damit zu größeren Lernerfolgen führt. Immerhin braucht das Gehirn dreimal soviel Sauerstoff wie der Körper, um richtig zu funktionieren, vor allem wenn der Mensch im Sitzen arbeitet. Wir denken selten bewusst an unsere Atmung, und doch atmen wir täglich an die zwanzigtausend Liter (fünfunddreißig Pfund) Luft ein, ungefähr das Sechsfache dessen, was wir essen und trinken. Das zeigt ganz klar: Atmen heißt leben.
Mircea Eliade, ein großer Kenner des Yoga, behauptet, dass die Konzentration durch rhythmisches Atmen und besonders durch das Anhalten des Atems sehr gefördert wird. Yogi Ramacharaka bemerkt in "The Science of Breath", dass man sich »durch rhythmisches Atmen in harmonische Schwingung mit der Natur versetzen und zur Entfaltung der eigenen latenten Kräfte beitragen könne«. Und in vielen alten Kulturen, zum Beispiel im Islam, findet sich die für die amerikanische Pädagogik wohl neue Vorstellung, dass man die Konzentration steigern kann, indem man zu gesungenen Worten rhythmisch atmet.
Wie soll man beim Lernen atmen? Das Atmen basiert auf einem langsamen Pulsschlag. Indem man nun Atemrhythmus und Pulsschlag synchronisiert, teilt sich, behaupten die Yogis und andere »Eingeweihte«, die Schwingung dem ganzen Körper und dem Willen mit. Diese Harmonisierung von Geist und Körper trägt zur Steigerung aller im einzelnen angelegten Kräfte und Fähigkeiten bei, und beim Superlearning atmet man in diesem »idealen« Rhythmus eines langsamen Pulsschlags. Man atmet einfach im Takt des rhythmisch vorgetragenen Stoffes.
Ein Gesetz der modernen Informationswissenschaft besagt, dass um so mehr Information vermittelt werden kann, je geeigneter ein Medium für den Informationstransport ist. Es wäre denkbar, meint Dr. Win Wenger, dass die synchronisierten Rhythmen des Superlearning ein ungewöhnlich geeignetes Medium für den Transport von Informationen darstellen.
Dr. Hideo Seki, ein japanischer Fachmann für Kommunikationstheorie und Vertreter des Superlearning Selbstunterrichts, meint, dass die verschiedenen synchronisierten Komponenten die »psychischen Geräusche« im Gehirn dämpfen und dadurch die Aufnahmebereitschaft für Informationen steigern.
Bei seiner Untersuchung der Atmung entdeckte Losanow, wie seine methodisch anders vorgehenden amerikanischen Kollegen, dass ein Mensch mit Hilfe bestimmter Atemübungen seine Körperfunktionen kontrollieren und seinen Puls verlangsamen kann.
Jack Schwarz, Experte für Psychophysik, stellte sich selbst amerikanischen Physiologielabors als Versuchskaninchen zur Verfügung, um hinter das Geheimnis der willkürlichen Geistes-, Körper- und Schmerzkontrolle zu kommen. Nach bestimmten Atemübungen zeigten die Instrumente an, dass seine Gehirnwellen und seine Muskeltätigkeit in Brust und Unterleib synchron abliefen. »Kopf und Körper stehen in Einklang miteinander«, wie er in seinem Buch "Voluntary Controls" (»Willkürliche Kontrolle«) feststellt.
Vielleicht können wir der gängigen Liste der Umweltverschmutzungen noch eine »Innenweltverschmutzung« hinzufügen: »psychophysische Arrhythmie«. Infolge all der Hektik um uns herum laufen unsere geistigen und körperlichen Rhythmen nicht mehr synchron, und das beeinträchtigt Lernerfolg und Leistung. Die rhythmische Atmung ist wohl einer der einfachsten Wege zur Steigerung innerer Bewusstheit und zur Harmonisierung und Entspannung des Körpers. »Wir stellen fest, dass das Atemtempo einen ungeheuren Einfluss auf die Bewusstseinszustände hat«, berichtet Schwarz.
Über die synchronisierende Wirkung des Atmens und die bessere Sauerstoffzufuhr hinaus gibt es noch einen weiteren Aspekt der Atmung, der für das Supergedächtnis von großer Bedeutung ist.
(Fortsetzung) Der »Musik-Weg« zu anderen Bewusstseinsebenen
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