Denken, Lernen, Selbstlernen | |||
Das Gedächtnis besteht aus drei Speichern:
Im Ultra-Kurzzeit-Speicher werden alle Sinneswahrnehmungen registriert und bleiben dort nur solange, wie sie uns wichtig sind. Bis zu 20 Sekunden kann es dauern, bis die Informationen entweder durch neue gelöscht oder an den Kurzzeitspeicher weitergegeben werden. Dieser erste wichtige Speicher funktioniert also als ein erster Wahrnehmungsfilter, der wichtige Informationen durchlässt und nicht wichtige Informationen löscht. Die Entscheidung, ob eine Information wichtig oder unwichtig für uns ist, wird auf Grund unserer Erfahrung, also aus unserem Langzeitgedächtnis und unserer Bewertung aller gemachten Erfahrungen, teilweise bewusst, überwiegend aber unbewusst von uns gefällt. Das sogenannte "implizite" Gedächtnis, wie es Daniel L. Schacter, einer der bekanntesten Gedächtnisforscher der Welt, in seinem hervorragenden Buch "Wir sind Erinnerung", Gedächtnis und Persönlichkeit (Rowohlt, Hamburg, 1999) nennt, steuert vor allem die nichtbewusste Beeinflussung unserer Wahrnehmungen, Gedanken und Handlungen durch frühere Erlebnisse. Schon der Wahrnehmungsfilter Ultra-Kurzzeit-Gedächtnis wird entscheidend vom "impliziten" Gedächtnis beeinflusst.
Der Kurzzeit-Speicher des Gehirns umfasst einen Bereich von ca. 20 Minuten. Alle Informationen, die noch nicht dauerhaft gespeichert sind, sind hier vorhanden. Auch sie erfahren eine Bewertung und Zuordnung, bevor sie ins Langzeit-Gedächtnis gelangen können.
Ultra-Kurzzeit-Speicher und Kurzzeit-Speicher sind auch abhängig von unserer Lebenssituation, unserer Lernmotivation (Bedürfnis zu lernen), unserem Wesen, aber auch ganz konkret unserer Ernährung und dem Vorhandensein bestimmter Überträgerstoffe und Hormone, wie Dr. Rainer Matejka in seinem interessanten Artikel "Das Gehirn - Schaltzentrale des Menschen" (in der Zeitschrift "Naturarzt" (1/2000, Access Verlag, Königstein) beschreibt.
Zu den Stichwörtern Gedächtnis, Gedächtnisentwicklung, Gedächtnishemmungen, Gedächtnisstörungen, Gedächtnisstrategien, und Gedächtnistyp gibt es weitere Informationen im Schüler-Duden "Die Psychologie".
Wenn Informationen auch die Auswahl im Kurzzeit-Gedächtnis überstehen, gelangen sie ins Langzeit-Gedächtnis. Dabei spielt der Hippocampus, ein Abschnitt des limbischen Systems, eines entwicklungsgeschichtlich viel älteren Teils unseres Gehirns, eine entscheidende Rolle. Dieser Teil des Großhirns ist verantwortlich für grundlegende Reizverarbeitung, da er zu den ältesten Teilen des Gehirns gehört.
Das bedeutet, dass gefühlsmäßige und unbewusste Gesichtspunkte Denken, Lernen und Vergessen steuern. Ohne den Hippocampus (wie zum Beispiel bei Unfallverletzungen in diesem Bereich festgestellt wurde) ist keine Langzeitspeicherung von Informationen möglich.
Im Langzeit-Gedächtnis werden Informationen wahrscheinlich in Form von besonderen Eiweißstrukturen und synaptischen Verbindungen gespeichert und vernetzt, wodurch sie dauerhaft abrufbar sind.
Aber auch hier passiert es, dass Informationen verblassen oder verschwinden, vielleicht ins Unbewusste abrutschen, wenn sie nicht mehr so wichtig oder dringlich sind. Die entsprechenden Netzwerkbahnen sind nicht mehr so leicht zugängig, werden nicht mehr so schnell benutzbar sein, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, weil die entsprechenden Informationen nicht mehr so wichtig sind. Wiederholung in regelmäßigen Abständen ist wichtig! Außerdem gilt, dass Informationen nicht nur viel leichter ins Langzeitgedächtnis gelangen, wenn sie gleichzeitig über möglichst viele Eingangskanäle, zum Beispiel möglichst Hören und Sehen kombiniert, vielleicht noch Tasten oder Riechen damit verbunden, vom Menschen aufgenommen werden. Sie bleiben auch viel besser im Langzeit-Gedächtnis haften und sind viel leichter wieder abrufbar. Das ist für jeden leicht einsehbar, da es natürlich immer günstiger ist, wenn der Zugang zu bestimmten Informationen im Langzeit-Gedächtnis über möglichst viele Netzwerke möglich ist.
Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass es beim Lernen und Lehren enorm wichtig ist, dass wir den Lernstoff in möglichst mit bereits bekanntem Lernstoff verknüpfter und in sich komplexer (umfangreicher) Form über möglichst viele Sinne gleichzeitig aufnehmen.
"Lernen mit allen Sinnen!", heißt die Zauberformel für erfolgreiches Lernen und Lehren.
Nicht jeder Mensch ist jedoch mit allen Sinnen gleich empfänglich für Lernstoff.
F. Vester hat einen einfachen Lerntyp-Test entwickelt,
der jedem Schüler und jeder Schülerin,
aber auch jedem Erwachsenen deutlich machen kann,
mit welchen Sinnen er oder sie besonders gut lernen und behalten kann.
Diesen Test sollte jeder mit sich durchgeführt haben,
um für sich selbst die besten Eingangskanäle herausfinden zu können.
Außerdem sollten Eltern und Lehrer/-innen wissen, um welche Lerntypen es sich bei ihren Schülerinnen
und Schülern handelt.
Wenn außerdem der Lernstoff und die Lernsituation mit angenehmen
Gefühlen verbunden und möglichst frei von Stress und Ängsten sind,
kann der Erfolg nicht ausbleiben.
Denn dann spielt uns in unserem Gehirn der Mandelkern,
auch Amygdala (vom griechischen Wort für "Mandel") genannt,
keinen Streich.
Er ist ein mandelförmiges Gebilde oberhalb des Hirnstammes, nahe der Unterseite des
limbischen Ringes. Jeder Mensch besitzt zwei Mandelkerne.
Zusammen mit dem schon oben angesprochenen Hippocampus ist der Mandelkern der entscheidende
Teil des primitiven "Riechhirns" gewesen,
aus dem sich in der Evolution das Großhirn und die Großhirnrinde entwickelt haben.
Lernen und Gedächtnis sind bis heute überwiegend von diesen beiden Strukturen abhängig.
Der Hippocampus registriert Wahrnehmungsmuster,
ordnet Einzelheiten unserer Erlebnisse und unseres Wissens in Zusammenhänge ein.
Der Mandelkern ist als "Sitz der Leidenschaften"
(ohne ihn können wir keine Gefühle mehr selbst haben oder die Gefühle anderer Menschen erkennen und bewerten!)
unser emotionales Gedächtnis.
Wenn wir beispielsweise einen Löwen im Zoo sehen, sagt uns der Hippocampus, dass das etwas anderes ist,
als ein Löwe in der Natur, der Mandelkern wird nicht besonders aktiv,
sehen wir beispielsweise einen bestimmten Menschen in unserer Schule, sagt uns der Hippocampus,
dass er unser Mathe-Lehrer ist, und der Mandelkern macht sofort deutlich,
dass wir ihn nicht mögen und vielleicht Angst vor ihm haben, sofort entstehen in uns entsprechende Gefühle.
Hier sind wir an einem ganz besonders wichtigen Punkt angekommen! Gedächtnis und Lernen sind, wie wir jetzt wissen, nicht nur vom Hippocampus und Teilen von Großhirn (Kortex) und Großhirnrinde (Neokortex) mit ihrer rationalen, nüchternen Faktenaufnahme, -verarbeitung und Gedächtnisarbeit abhängig. Mindestens genauso entscheidend für das Gedächtnis und bereits den Lernvorgang ist der Mandelkern, unser emotionales Gedächtnis und unser emotionaler "Motor". Wichtig für alle Schüler/-innen und Lehrer/-innen ist dabei noch zu wissen, dass bei entsprechender gefühlsmäßiger Bedeutung einer Situation oder einer Tatsache der Mandelkern den "Verstand" ausschalten und übergehen kann!
Ein kleineres, kürzeres Bündel Nervenzellen verbindet den Mandelkern direkt mit dem Thalamus, einer Schaltzentrale des Gehirns, bei der alle Sinnesreize aus dem Körper ankommen und die diese Sinnesreize zu den entsprechenden Zentren der Großhirnrinde in gehirngerechter Form weiterleitet. Nach der dortigen Analyse und Verarbeitung der Reize schickt die Großhirnrinde dann Signale über das limbische Gehirn für entsprechende Reaktionen im Gehirn und Körper. Das kleinere und kürzere Nervenbündel zwischen Thalamus und Mandelkern, das übrigens von dem amerikanischen Neurowissenschaftler an der New York University Joseph Le Doux entdeckt wurde, erlaubt nun etwas, was die Natur uns und vielen anderen Lebewesen als Überlebenshilfe eingerichtet hat - eine von "primitiven" grundlegenden Gefühlserinnerungen gesteuerte Spontanreaktion, die nicht vom Denken und bewussten Entscheidungen abhängt. Während noch Signale zwischen Thalamus und Großhirnrinde hin- und hergehen, erkennt der Mandelkern aufgrund der Gefühlsbezogenheit der Information (z.B. Angst, Zuneigung oder Hass) die Notwendigkeit einer unmittelbaren Reaktion. Diese sofortige Reaktion auf einen gefühlsbeladenen Reiz (z.B. Gefahr) ist in der Natur (z.B. als Flucht oder Angriff) oder im Alltag (z.B. Ausweichen, Vermeiden einer kritischen Situation) meist sehr sinnvoll, weil nur so eine erfolgreiche Reaktion möglich ist.
Beim Lernen und bei Gedächtnisleistungen kann dieser gefühlsmäßige "Kurzschluss" jedoch ein entscheidendes Hindernis sein, wenn Informationen blockiert werden, da sie gefühlsmäßig abgelehnt werden. Natürlich ist es auch umgekehrt möglich, dass angenehme Gefühlserinnerungen über den Mandelkern eine positive Steigerung der Lernfähigkeit und der Gedächtnisleistung bewirken. Wichtig bei diesem Phänomen ist außerdem, dass die Vorgänge überwiegend unbewusst ablaufen, also nicht von uns unmittelbar beeinflussbar sind. Oft wissen wir nicht einmal, dass wir Informationen mögen oder nicht mögen, erst recht dann natürlich auch nicht, warum das so ist.
Erfolgreiches Lernen und ein gutes Gedächtnis können nur in Verbindung mit angenehmen Gefühlen erreicht werden. Schüler/-innen und Lehrer/-innen sollten diese Tatsache immer beachten und ständig bemüht sein, das in ihrer Macht Stehende zu tun Lehr- und Lernsituationen und ihre personellen und fachlichen Umstände für alle so angenehm wie möglich zu gestalten. Lebendige Beispiele und fachliche Begründungen gibt auch F. Vester in seinem hervorragenden Buch "Denken, Lernen, Vergessen".
Schönere Lernräume, anregendere Lernmittel, verstärkter Einsatz von Lob, tolerante gegenseitige Zuwendung, der gemeinsame positive Umgang mit überall vorkommenden Fehlern sind z.B. Hilfen in diesem Sinne.
Das Leben und damit auch das Lernen können natürlich nicht nur angenehm sein. Auch die positive Beherrschung des Unangenehmen gehört zur Lebenskunst. Wenn für Schüler/-innen das Lernen oder für Lehrer/-innen das Unterrichten bereits grundsätzlich unangenehm sind, sollten sie versuchen herauszufinden, ob das vordergründig auf Bequemlichkeit oder hintergründig auf tiefere Ursachen zurückzuführen ist und auf welche. Lernen und Gedächtnisleistung gehören elementar zum Leben jedes Menschen, und das ein Leben lang. Sie bedeuten für jeden Menschen ständig die Chance sich selbst und seine Umwelt mit dem Ziel der Verbesserung zu entwickeln.
Nehmen wir diese Chance wahr! netSCHOOL hilft dabei!
oben | home | Inhalt: Werner Plack | web design: hp maly | 2007 | zurück |