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Vorüberlegungen zur Darstellung des Arbeitersports im Deutschen Sportmuseum
von Diethelm Blecking

TEIL 4
Die Gegenwart des Arbeitersports

Die Verbände der organisierten Arbeitersportbewegung sind nach 1945 in Deutschland nicht wieder aufgebaut worden, weil man sich für das Prinzip der Einheitsportorganisation entschied.

Das Milieu, das sie bis 1933 getragen hatte, war durch NS-Herrschaft und Krieg zerstört und ließ sich auch nach der "stellvertretenden Revolution" durch die Alliierten nicht wieder rekonstruieren.

An die Stelle der Klassenbildung rückten "Klassen-Entbildungsprozesse", aus der Klassengesellschaft wurde die enttraditionalisierte Risikogesellschaft, in der soziale Ungleichheit individualisiert wird. Allerdings sind die Probleme, die der Arbeitersport wie ein Seismograph in der Industriegesellschaft und bei der Entwicklung des modernen Sports geortet hat, durchaus noch nicht beantwortet.

In der DDR gewann die Geschichte der Arbeitersportbewegung Legitimationsfunktion für den Aufbau des Staates und der staatlichen Sportbewegung.

Strukturelement XII: Die Legitimationsfunktion des Arbeitersports

"Erbeaneignung" in der DDR

In diesem Zusammenhang wurde bereits in den fünfziger Jahren die politische Geschichte des Arbeitersports und der revolutionären Turner in mehreren Dissertationen aufgearbeitet. Es dominierte hier die Sicht der KPD, der kulturellen und sportiven Dimension der Bewegung wurde nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ging es doch darum zu begründen, dass "sich die Sportbewegung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als ein legitimer Erbe aller guten Traditionen der deutschen Turn- und Sportbewegung insbesondere der großen Leistungen und der reichen Erfahrungen der deutschen Arbeiterturn- und Sportbewegung versteht. Dabei wäre eine Betonung der kulturrevolutionären Tendenzen im Arbeitersport eher hinderlich gewesen. Denn das Massensportkonzept der Bewegung ließ sich kaum auf die Folie eines im Blick auf die Olympischen Spiele 1972 in München und den Sieg im Systemkonflikt hypertrophierten Leistungssportsystems projizieren, das auf der einen Seite auf Kosten der Investitionen in den Breiten- (Massen-) Sportbereich entwickelt wurde, auf der anderen Seite offensichtlich bei der Ausbeutung der Athleten durch Doping und Trainingsintensität keine ethische Grenzen kannte.

In der Bundesrepublik verdrängten Restauration und "Wirtschaftswunder" die Erinnerung an den Arbeitersport. Erst der erste größere ökonomische Einbruch 1967 und die kulturrevolutionäre Krise Ende der 60er Jahre ließ zuerst wissenschaftliches, dann auch ein politisches Interesse entstehen.

Strukturelement XIII: Die Gegenwart des Arbeitersports

Ökologische Krise
Neue soziale Bewegungen
Wiederkehr des Körpers

Ab 1978 formierten sich in Westdeutschland am linken Rand des politischen Spektrums im Zeichen der ökologischen Krise der Industriegesellschaft unter den Stichworten "grün" bzw. "alternativ" neue soziale Bewegungen. Die Politikfelder dieser Bewegungen sind grob mit den Stichworten Ökologie, Frauen und Frieden abzugrenzen. Auch die Sozialdemokratie hat im Zeichen einer programmatischen Neubesinnung hier stärkere Akzente gesetzt.
Parallel dazu sieht Digel eine Verschiebung des Werteinventars im Sport zum Freizeitsport, zum Alternativsport, in dem "Körperkultur zu einer eigenen Lebensform zu einem eigenen Lebensstil wird und zu einem instrumentalisierten Sport "unter dem Aspekt der sozialen Dienstleistung".

Die von den neuen sozialen Bewegungen angezielten Politikfelder und die neue Wertorientierung im Sport, zusammengefasst unter dem Stichwort der "Wiederbegegnung der Industriegesellschaften mit dem Körper", sind immer schon Teil sozialistischer Orientierung gewesen und perspektivisch in den Konzeptionen und der Praxis des Arbeitersports vorhanden.

In den letzten Jahren ist eine verstärkte Anlehnung der "Restverbände" der Arbeitersportbewegung, der Naturfreunde und des Rad- und Kraftfahrbundes "Solidarität", an diese Wandlungsprozesse zu verfolgen. Wenn die soziale Klientel auch längst nicht mehr die Industriearbeiterschaft allein ist, so wirken die Fragen, die in der Arbeitersportbewegung formuliert wurden, hier weiter und harren unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen immer noch ihrer Lösung.

Ein zukünftiges Museum muss sich deshalb für die Mitarbeit gerade dieser beiden Verbände öffnen, wenn es denn das gesamte Spektrum des Sports und seiner Geschichte in Deutschland repräsentieren will.

 

aus: "Das Deutsche Sportmuseum", Hrsg. M. Lämmer, Academia-Verlag, St. Augustin, 1991, S. 115 - 136,
mit freundlicher Genehmigung des Verlages, viele weitere Anmerkungen und Quellenangaben sind dort zu finden

 

  Einleitung (1)
  Zwischen Konflikt und Integration: Die Arbeitersportbewegung im Kaiserreich (2)
  Arbeitersport im Spannungsfeld von Solidargemeinschaft und Massenkultur (3)
  Die Gegenwart des Arbeitersports (4)

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