netSCHOOL SPORT-Geschichte   -Museum

 zurück zu Sportgeschichte    

Viele übergreifende Fragen tauchen im Zusammenhang mit dem Thema "Arbeitersport" auf. Die Entwicklung des Sports ist nicht zu trennen von dem Bereich des Arbeitersports, auch wenn uns das heute etwas fremd und unpassend erscheint, weil wir meist nichts darüber wissen. Die Geschichte des Sports in den letzten 200 Jahren ist aber nur zu verstehen, wenn wir uns eingehend mit der

 

Arbeitersportbewegung und ihrer Kultur beschäftigen. Der folgende Text liefert uns viele Hintergrundinformationen und kritische Gedanken, die im Zusammenhang mit der Gründung des Deutschen Sport- und Olympiamuseums in Köln entstanden sind, die jedoch zeitlose Gültigkeit haben und unser Verständnis vom Sport erheblich verbessern.

Vorüberlegungen zur Darstellung des Arbeitersports im Deutschen Sportmuseum
von Diethelm Blecking

TEIL 1
Einleitung

Arbeitersport

Kann man den Sport einer sozialen Schicht vom allgemeinen Sport trennen?

Was ist überhaupt Arbeitersport?

Welche historischen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge sind von Bedeutung?

Welche Werte werden im Arbeitersport verfolgt?

Welchen Bezug hat der Arbeitersport zum heutigen Sport?

Warum erkennen wir heute keinen Arbeitersport mehr?

Der Zusammenbruch des "realen Sozialismus" in Osteuropa hat die Frage "Was bleibt vom Sozialismus?" auf die Tagesordnung gesetzt. Das in der DDR vertretene Verständnis von "Erbeaneignung und Traditionspflege", das bruchlose Traditionslinien von der Arbeitersportbewegung (1893-1933) zu Sport und Körperkultur im "ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat" zog, diente zwar immer mehr politischem Legitimationsbedürfnis als historischer Aufklärung, aber auf der anderen Seite war der organisierte Arbeitersport in Deutschland in der Tat so stark im Rahmen der sozialistischen Arbeiterbewegung insgesamt verankert, dass man ihn mit Fug und Recht auch als "Arbeiterbewegungssport" bezeichnen könnte. Eine Ausstellungskonzeption wird sich den Fragen, die an diese Zusammenhänge zwischen Arbeitersport und sozialistischen Gesellschaftskonzepten anknüpfen, nicht entziehen können.

Das schwierige Szenarium wird weiter dadurch kompliziert, dass die Geschichte der Arbeitersportbewegung in Deutschland zwar ein abgeschlossenes Kapitel bildet, die Vorstellung, dass wir wüssten, "wie es eigentlich gewesen ist", sich aber als ziemlich illusionär erweist.

So wird z.B. neuerdings die lange dominierende These, die Arbeiterbewegungskultur habe ihren Höhepunkt im Kaiserreich erlebt und sich in der Weimarer Republik bereits in einem unaufhaltsamen Integrations- und Absorptionsprozess durch die Massenkultur befunden, mit guten Argumenten bestritten. Dabei wird gerade das enorme Wachstum der Arbeitersportorganisationen in den zwanziger Jahren als Beweis dafür angeführt, "dass die Weimarer Republik die Blütezeit der sozialdemokratischen Arbeiterkultur (war)". Aber auch qualitativ gelang es anscheinend der Organisationskultur der Arbeiterbewegung zum Ende der Republik, noch andere Akzente zu setzen als vergleichbare bürgerliche Organisationen:

"Ein Arbeitssporttag [so im Original, richtig "Arbeitersporttag", d. Verf.] mit seinen republikanischen und internationalistischen Deklamationen, Metaphern und Losungen, u.a. vorgetragen von proletarischen Sprech- und Singchören, sah anders aus und lief verschieden von dem chauvinistisch-nationalistischen Sporttag der Bürger ab".

Ohne dass überprüft werden soll, ob die vorgetragenen politischen Wertungen so tragen, wird doch hier der Charakter der sozialdemokratischen Subkultur bzw. Solidargemeinschaft als prinzipieller Gegenentwurf betont. Damit wird auch die Frage nach der "Alternative" und dem Veränderungspotential aufgeworfen, das der Arbeitersportbewegung zuzuschreiben ist. Verändern wir die Eingangsfrage nur ganz leicht und fragen "Was bleibt vom Arbeitersport", so können wir auf dieser Folie das leitende Interesse der anvisierten Konzeption auftragen, verpflichtet dem Gedanken, dass Geschichte (und ihre Ausstellung im Museum) die Aufgabe hat, "verschüttete Chancen auf dem Weg in eine vergangene Zukunft" aufzuweisen.

Dieser Ansatz erteilt ausdrücklich eine Absage an Entwürfe, die das historische Material des Arbeitersports in politischer Absicht: zur Herstellung von Traditionen bzw. zur politischen Legitimation einsetzen möchten. So geschehen ja bereits in dem eingangs genannten Beispiel, aber auch in jenen sicherlich gut gemeinten Inszenierungen, die die deutsche Arbeitersportbewegung in die Bewegung der "Sportler für den Frieden" münden lassen bzw. den Deutschen Sportbund (DSB) quasi als Zielhafen der Arbeitersportflotte reklamieren.

Wäre es so, brauchte man den Arbeitersport nicht auszustellen. Zur Verdoppelung der Geschichte erscheinen museale Bemühungen doch sinnlos. Das Museum als gegenständlich gewordene Tautologie, die "finalisierenden Sinn" stiftet, kann nicht beabsichtigt sein. Für die Konzeption "Arbeitersport" wäre eine solche Intention, das haben unsere einleitenden Bemerkungen gezeigt, auch gar nicht mehr zu realisieren.

Damit ist der Rahmen für konkretere Überlegungen abgesteckt, die nun allerdings einer Anbindung an eine übergeordnete Museumskonzeption bedürften.

Wird Sport als Entwicklung einer Konfiguration in der Folge eines "Prozesses der Zivilisation" oder auf dem "Weg in die industrielle Zivilisation" beschrieben, oder wird die Entstehung eines einheitlichen Sportsystems als systemischer Funktionszusammenhang der Trias Athletik, Leibeserziehung, Sport unter dem vereinheitlichenden binären Code "Leisten/nicht Leisten" begriffen, kann der Arbeitersport als weitere Ausdifferenzierung neben solchen, die durch ethnische Positionierung oder religiöse Anbindungen bestimmt sind, eingeordnet werden.

Rückt die Geschichte des Olympismus als übergeordnete historische Potenz in den Mittelpunkt, geraten Teilaspekte des Arbeitersports (Wettkampf- und Rekordkritik, Internationalismus, Arbeiterolympiaden) in das Blickfeld.

Möglich erschiene auch eine Museumskonzeption, die unter den Stichworten "Sport - Politik - Gesellschaft" die mannigfaltigen kulturellen, sozialen und politischen Funktionen des Sports von der Antike bis in die Gegenwart thematisiert. Dann könnte der Arbeitersport als Träger eines sozialistischen Gesellschaftskonzeptes dargestellt werden, das sich als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft definierte.

Des weiteren bedarf die grundsätzliche Frage einer Klärung, ob der Arbeitersport als eigene Abteilung innerhalb des Museums organisiert wird oder integriert behandelt werden soll.

Denkbar wäre im Prinzip die Konzeption als Teil der Dauerausstellung, als Wechsel- oder als Wanderausstellung. Für die Dauerausstellung käme man dann nicht daran vorbei, größere "lehrhafte" Sequenzen einzuziehen. Wechselausstellungen können auf aktuellen Wandel und kurzfristige Interessen reagieren, während eine Wanderausstellung die Chance hätte, den wichtigen Aspekt der Regionalisierung mit aufzunehmen. Die "Naturfreunde" hatten z.B. ihren Schwerpunkt im Süden Deutschlands, die Turner ihre Hochburg in Sachsen. Eine durch die Regionen wandernde Ausstellung könnte jeweils verschiedene Schwerpunkte setzen und sich auf ihrem Weg stetig verändern.

Last but not least muss in dieser kleinen "captatio benevolentiae" noch daraufhingewiesen werden, dass die Frage der konkreten Umsetzung, d.h. der Inszenierung von Räumen etc,. hier natürlich ausgeklammert werden muss. Dies ist nicht das "Drehbuch" der zukünftigen Ausstellung.

Die prinzipielle Schwierigkeit "Sport", also Bewegung auszustellen, ist in diesem Band bereits mehrfach angesprochen worden. Das grundsätzliche Problem "Geschichte", ein offenes, dynamisches "Konstrukt", geprägt durch einen "Pluralismus von Interpretationsmöglichkeiten" auszustellen und damit statisch zu interpretieren, kann hier nur mitgedacht, aber kaum einer Lösung zugeführt werden.

Uns geht es zuallererst um den Versuch einer vernünftigen, tragfähigen Reduktion der komplexen Phänomene Arbeitersport und Arbeitersportbewegung.

Strukturierung der Konzeption

Im folgenden wird die Geschichte der Arbeitersportbewegung in drei große, chronologisch aufeinanderfolgende Blöcke gegliedert. Der erste Komplex hat die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg zum Inhalt und steht unter dem Titel "Zwischen Konflikt und Integration: Die Arbeitersportbewegung im Kaiserreich". Der zweite Teil soll die Geschichte der Bewegung in der Weimarer Republik bis zur Zerschlagung durch den Nationalsozialismus verfolgen. Er trägt den Arbeitstitel "Arbeitersport im Spannungsfeld von Solidargemeinschaft und Massenkultur". Der letzte Teil unseres Strukturierungsversuchs beschäftigt sich schließlich mit den mannigfaltigen Interpretations-, Legitimations- und Erbeansprüchen. Wir überschreiben diesen Gliederungspunkt mit dem Stichwort: "Die Gegenwart des Arbeitersports".

Damit wird aber auch angesprochen, welche "verschütteten Chancen" denn dieser "Grabungsversuch", den eine Ausstellung darstellt, für zukünftige Entwicklungen ans Tageslicht gebracht hat. Ausgehend von unserer Einleitung, die verschiedene Ausstellungsformen und Einbettungen thematisiert hat, soll der Aufbau dieses konzeptionellen Versuchs im Baukastensystem erfolgen, d.h. es lassen sich einzelne der folgenden Strukturelemente stärker akzentuieren, andere wiederum können möglicherweise entfallen, weil sie bereits im Rahmen übergeordneter Konzeptionen enthalten sind.

  Einleitung (1)
  Zwischen Konflikt und Integration: Die Arbeitersportbewegung im Kaiserreich (2)
  Arbeitersport im Spannungsfeld von Solidargemeinschaft und Massenkultur (3)
  Die Gegenwart des Arbeitersports (4)

 zurück zu Sportgeschichte    Übersicht SPORT-Museum 

E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003