netSCHOOL Oberstufe: Differential- und Integralrechnung

Oberstufenskript
Differential- und Integralrechnung
für Grund- und Leistungskurse von Jürgen Rohde
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 5.2 Der Grundgedanke der linearen Approximation

5.3 Die Ableitung der ganzrationalen Funktionen

Die Definition der Differenzierbarkeit sagt nicht, wie man  m = f ' (x)  finden kann. Wenn man aber Gleichung (1) (Definition der L-Differenzierbarkeit) in der Form

        f (x) - f (x0) = m ( x - x0) + R (x)
schreibt, wird folgende Strategie zum Auffinden von  m  plausibel :
 1.  Bilde  f (x) - f (x0) Ableitungs-
Strategie
2.Klammere - wenn möglich -  ( x - x0)  aus, also  f (x) - f (x0) = ( x - x0) · g (x) 
3.Setze  m = g (x0) = f ' (x0)

Zumindest für Polynome läßt sich beweisen, dass diese Strategie Erfolg garantiert.

        Denn es sei  f (x)  ein Polynom. Dann hat das Polynom
   f (x) - f (x0)
die Nullstelle  x0 . Also gibt es nach Satz 1 (4.4 Nullstellen von Polynomen) ein Polynom  g (x)  , so dass
(1) f (x) - f (x0) = ( x - x0) · g(x)    ist.
 Es wird gezeigt:   g (x0) = f ' (x0) .
Zum Beweis schreibt man nach Gleichung (3) (Definition der L-Differenzierbarkeit)
 R (x) = f (x) - f (x0) - g (x0) ( x - x0) ,
Woraus wegen (1) folgt 
(2) R (x) = ( x - x0) g (x) - ( x - x0) g (x0) = ( x - x0) · [ g (x) - g (x0) ]
 Analog wie zu Gleichung (1) schließen wir:
Es gibt ein Polynom  h (x) , so dass in
 g (x) - g (x0) = ( x - x0) h (x)
ist. Wegen (3) folgt aus (2)
       (4) R (x) = ( x - x0)² · h (x)
 h (x)  ist - wie jedes Polynom - nach Satz 5 (4.6 Beschränktheit von ganzrationalen Funktionen über Intervallen) über jedem endlichen Intervall beschränkt, also etwa
 | h (x) | M
für ein  M > 0  über einem Intervall  I . Damit folgt für alle x, x0 I  aus (4)
 | R (x) | M ( x - x0)² ,
Womit bewiesen ist, dass  g (x0) = f ' (x0)  die Ableitung von  f  bei  x0  ist.
(Vergleiche Definition der Differenzierbarkeit)

Wir wenden diese Strategie auf Potenzfunktionen an:
           f (x) = xn
Es ist :
 xn - x0n = ( x - x0 ) · [ xn-1 + xn-2 · x0 + xn-3 · x02 + . . . + x0n-1 ]
 xn - x0n = ( x - x0 ) · g (x)
(vergleiche 4.4 Nullstellen von Polynomen)
Es folgt
I  ( xn ) ' (x0) = f ' (x0) = g (x0) = n · x0n-1
 Weiter folgt für die Funktion  f  mit der Gleichung
 f (x) = a · xn           ( a )
aus
 a · xn - a · x0n = ( x - x0 ) · [ a · g (x) ]
II f ' (x0) = a · n · x0n-1
 d.h. ein konstanter Faktor bleibt beim Ableiten erhalten.
Was gilt für die Summe zweier Polynome ?
Dazu seien  f1  und  f2  zwei Polynome. Wir schreiben
 ( f1 + f2 ) ( x ) - ( f1 + f2 ) ( x0 ) = f1 (x) + f2 (x) - f1 (x0) - f2 (x0)
      = f1 (x) - f1 (x0) + f2 (x) - f2 (x0)
      = ( x - x0 ) · g1 (x) + ( x - x0 ) · g2 (x)
      = ( x - x0 ) · [ g1 (x) + g2 (x) ] .
Also ist
 III  ( f1 + f2 ) ' ( x0 ) = g1 (x0) + g2 (x0) = f1 ' (x0) + f2 ' (x0)
 Kurz: Die Ableitung einer Summe ist gleich der Summe der Ableitungen.

Weil man aus den Potenzfunktionen durch Vervielfachung mit reellen Zahlen und Summenbildung jede ganzrationale Funktion erzeugen kann, ist oben folgender Satz bewiesen worden:
      Satz 1 Jede ganzrationale Funktion ist an jeder Stelle, aber auch über jedem endlichen Intervall gemäß den beiden Definitonen der L-Differenzierbarkeit in 5.2 (  1  und  2  ) differenzierbar und für die Ableitung gelten die Regeln III und III .

Beispiele:
Vorbemerkung: Weil die Ableitungsregeln für alle  x0   gelten, lassen wir künftig bei Beweisen den Index  0  weg.
      1. f (x) = x5 f ' (x) = 5 x4
2.f (x) = -2 · x5 f ' (x) = ( -2 ) · 5 x4 = - 10 x4
3.f (x) = x f ' (x) = 1
4.f (x) = 0 f ' (x) = 0
5.f (x) = -10 f ' (x) = 0
6.f (x) = -3 x4 + 5 x3 - 2 x + 102 f ' (x) = - 12 x3 + 14 x2 - 2

Es werden zwei weitere Ableitungsregeln bewiesen, die später das Ableiten erleichtern.
Satz 2 sagt zunächst etwas über die Ableitung eines Produktes von Polynomen. Zuvor wird die Produktenregel entwickelt und anschließend der Satz formuliert.

Es seien also u (x) und v (x) Polynome. Dann gibt es nach der nun bereits bekannten Argumentation Polynome  gu (x) und gv (x)  so dass
  u (x) = u (x0) + ( x - x0 ) · gu (x)       ( gu (x0) = u ' (x0) )
und  u (x) = v (x0) + ( x - x0 ) · gv (x)   ( gv (x0) = v ' (x0) )
gilt. Durch Multiplikation (es wird ja eine "Produktenregel" gesucht) erhält man:
  u (x) · v (x) = u (x0) · v (x0) + ( x - x0 ) · [ u (x0) · gv (x) + v (x0) · gu (x) + ( x - x0 ) · gu (x) · gv (x) ]
Daraus folgt
 [ u (x) · v (x) ] ' (x0) = u ' (x0) · v (x0) + u (x0) · v ' (x0)

Man beachte, dass der Wert der eckigen Klammer an der Stelle  x0  gerade die Ableitung des Produkts  u (x) · v (x) ist.
Die Produktenregel etwas kürzer und einprägsamer formuliert:

      Satz 2   Wenn  u  und  v  ganzrationale Funktionen sind, dann ist  
( u · v ) ' = u ' · v + u · v '

Beispiel:  f (x) = ( 2 x² - 4 x + 5 ) · ( x³ - 2 x² + 4 x )
setzeu (x) = 2 x² - 4 x + 5    u ' (x) = 4 x - 4
undv (x) = x³ - 2 x² + 4 x    v ' (x) = 3 x² - 4 x
Nach der Produktenregel ist   f ' (x) = ( 4 x - 4 ) ( x³ - 2 x² + 4 x ) + ( 2 x² - 4 x + 5 ) ( 3 x² - 4 x )
In der Regel gibt es keinen Grund , die Teilprodukte auszumultiplizieren.

Häfig hat man Terme wie  ( x + 3 )n  oder  ( x² + x + 4 )n  oder allgemeiner  [ f (x) ]n  ( f (x) ein Polynom ) abzuleiten. Folgende Überlegung vereinfacht das Ableitungsverfahren:
[ f (x) ]n - [ f (x0) ]n = ( f (x) - f (x0 ) ) · [ [ f (x) ]n-1 + [ f (x) ]n-2 · f (x0) + . . . + [ f (x0) ]n-1 ]
  = ( x - x0 ) · { g (x) · [ . . . . . . . . . ] }

Der Wert der geschweiften Klammer an der Stelle  x0  ist die Ableitung von x [ f (x) ]n an der Stelle  x0  (man beachte: g (x0) = f ' (x0) ).
Also ( [ f (x) ]n ) ' (x0) = n · [ f (x0) ]n-1 · f ' (x0) oder wieder kurz, die Kettenregel für Polynome:

      Satz 3   Wenn  f  eine ganzrationale Funktionen ist, dann ist  
( f n ) ' = n · f n-1 · f '

Beispiele: 
  y = ( x² + x + 4 )³    y ' = 3 · ( x² + x + 4 )² · ( 2 x + 1 )
  y = ( 3 - x )5    y ' = 5 · ( 3 - x )4 · ( -1 ) = - 5 · ( 3 - x )4

Aufgaben zu 5.3   (mit Ableitungsregeln für ganzrationale Funktionen bzw. Polynome)

 

weiter zu    5.4 Die Ableitung einiger spezieller nicht ganzrationaler Funktionen  


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