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Eine neue Schule für alle
 
Laborschule Bielefeld

Eine Vorstellung

Zweiter Teil: Was lernen unsere Kinder an dieser Schule?

Eine Broschüre für Laborschul-Eltern und andere Interessierte

Laborschule Bielefeld

Text: Annemarie von der Groeben
Fotos: Archiv der Laborschule, Alexander von Lengerke
 

Lernen ist nicht gleich Lernen -

Wie diese Schule ihren Auftrag versteht

Was Lernen mit Leben und Erfahrung zu tun hat
Was Lernen mit der individuellen Entwicklung zu tun hat
Was Lernen mit anderen Menschen zu tun hat
Wie das Lernen an dieser Schule angelegt ist
Warum Lernen und Leistung hier anders bewertet werden

Lernen ist nicht gleich Lernen

Schon vom ersten Schultag an, wenn Ihr Kind noch sehr klein ist, lernt es, mit anderen Kindern und mit Erwachsenen gut zusammen zu leben, Regeln einzusehen und einzuhalten, sich an Ordnungen zu gewöhnen, sich seine Zeit einzuteilen, Pflichten zu übernehmen, Aufgaben verlässlich auszuführen und vieles mehr. Natürlich lernt es auch lesen, schreiben und rechnen. Später, in den Jahren vor dem Abschluss, wird es beispielsweise die Realität der Arbeitswelt in Betrieben kennenlernen, eine Zeit lang im Ausland in einer fremden Familie leben, sich auf dem Gebiet seiner Wahl besonders profilieren, anspruchsvolle Jahresarbeiten selbstständig anfertigen und vieles mehr. Natürlich lernt es auch Deutsch, Mathematik und Englisch.

Die Laborschule hält alle diese Lernformen für gleichermaßen wichtig. Sie hat also ein sehr weit gefasstes Lern- und Leistungsverständnis. Sie ist als Ganztagsschule angelegt, damit Kinder und Jugendliche genügend Zeit haben für die verschiedensten Lerntätigkeiten, in denen sie ihre Fähigkeiten entwickeln und erproben.

Die Laborschule versteht sich als Lebens- und Erfahrungsraum. Leben und Lernen sollen nicht künstlich getrennt, sondern sinnvoll aufeinander bezogen werden. Vor allem aber soll das Lernen, soweit dies möglich ist, mit Erfahrung verbunden sein.

Neue Erkenntnisse über das Lernen

Warum ist das so wichtig? Forschungsergebnisse der letzten Jahre werfen ein neues Licht auf menschliches Lernen. Demnach gleicht unser Gehirn, sehr vereinfacht gesagt, einem Haus mit vielen Fenstern zur Welt, die jedoch nicht von selbst aufgehen. Welche geöffnet werden, hängt entscheidend von den Signalen ab, die von außen kommen. Wenn ein Kind beispielsweise in einem Haus aufwächst, wo viel geredet und mit ihm gesprochen wird, wo viele Bücher sind, wo ihm Geschichten erzählt und vorgelesen werden, wird es sein „Fenster“ zur Welt der Sprache und Literatur weit öffnen. Seine Sprache wird sich an der der Erwachsenen schulen, es wird neugierig und lernbegierig sein, viele Fragen stellen, Geschichten lieben und immer mehr hören wollen, früh zu lesen beginnen und nach Büchern greifen. Ein anderes, gleichaltriges Kind, das viel allein ist, mehr oder weniger vor dem Fernseher aufwächst, mit dem wenig geredet wird, lernt auch irgendwann und irgendwie sprechen. Aber sein „Sprachfenster“ wird nur ein schmaler Spalt sein. Und später kann er nicht mehr beliebig erweitert werden. Deshalb wird dieses Kind es mit dem sprachlichen Lernen vermutlich sehr viel schwerer haben als das andere. Das Tragische daran ist, dass dies später nur teilweise, vielleicht sogar gar nicht ausgeglichen werden kann. Darum muss Lernen in der Schule möglichst früh beginnen, und darum muss die Schule allen Kindern eine anregende, erfahrungsreiche Umwelt bieten. Diese Forderung, die heute verstärkt erhoben wird, hat die Laborschule sich von Anfang an zum Programm gemacht.

Lernen, so weiß man heute, ist ein höchst individueller Vorgang. Nicht zwei Menschen lernen gleich. Grundbedingungen des Lernens jedoch gelten für alle.

Lernen ist auf Erfahrung angewiesen:

Unser Gehirn reagiert auf Anreize und Herausforderungen. Je häufiger und intensiver diese Anreize sind (in unserem Beispiel Sprechen, Vorlesen, Erzählen...), um so weiter öffnet sich das Fenster. Um alle ihre Fähigkeiten gut entwickeln zu können, brauchen Kinder also eine Fülle vielfältiger Erfahrungen. Darum versteht die Laborschule sich als Erfahrungsraum.

Lernen ist auf Eigentätigkeit angewiesen:

Jeder Mensch fängt von vorn an, muss die ersten Schritte tun, die ersten Wörter ausprobieren, er muss, wie die Wissenschaftler sagen, die Wirklichkeit erst für sich konstruieren. Das ist ein aktiver Vorgang. Niemand kann einem Kind mit Worten beibringen, wie Schwimmen geht, es muss selbst so lange üben, bis es klappt. Die Rolle der Erwachsenen ist: erklären, Hilfen geben, begleiten. Das gilt für jedes Lernen. Darum soll an der Laborschule Belehrung durch Erfahrung ersetzt werden, so weit dies möglich und sinnvoll ist. Maria Montessori hat diesen Gedanken auf die klassische Formel gebracht: Hilf mir, es selbst zu tun.

Lernen ist auf andere Menschen angewiesen:

Anreize und Herausforderungen zum Lernen können von Sachen ausgehen: etwas Essbares suchen, auf einen Baum klettern, durch einen Fluss schwimmen... Aber Kinder sind keine kleinen Robinsons, die allein auf einer Insel leben. Zuerst und vor allem sind Menschen auf Gemeinschaft angewiesen, auf andere Menschen, von denen sie abhängen, auf die gemeinsame Sprache, ohne die man nicht „dazu gehören“ kann, auf überliefertes Wissen. Lernen ist also immer in die Lebenskultur eingebettet, ist immer auch soziales Lernen. An der Laborschule wird darum großer Wert darauf gelegt, dass jedes Kind seinen eigenen Lernweg geht und zugleich in einer Gemeinscha aufwächst. Von Klein auf soll es dort erfahren, was zu einem guten Zusammenleben mit anderen gehört, was es selbst dazu tun und von den anderen erwarten kann. Von Klein auf soll das Lernen als eine individuelle und gemeinschaftliche Tätigkeit erfahren werden.

Lernen ist auf systematisches Fortschreiten und individuelle Unterstützung angewiesen:

Von den ersten gestammelten Wörtern des Kleinkindes bis zum frei vorgetragenen Referat des jungen Erwachsenen ist ein weiter Weg zurückzulegen. Dabei durchläuft jeder Mensch Stufen, die aufeinander folgen. Das Tempo kann dabei sehr unterschiedlich sein, die Stufenfolge jedoch nicht. Manche Kinder brauchen lange, bis sie den Schritt zu einer nächsten Stufe schaffen. Es wäre unsinnig, von ihnen das Gleiche zu verlangen wie von anderen, die bereits weiter sind. Darum wird an der Laborschule großer Wert darauf gelegt, dass jedes Kind nach seinem eigenen Tempo und Rhythmus lernen darf. Unterricht soll hier also nicht „im Gleichschritt“ stattfinden, sondern so, dass alle gut mit- und weiterkommen können. Die Fachsystematik ist wichtig, ebenso aber die Systematik des individuellen Lernens und Verstehens. Darum gibt es hier keine starren Lehrpläne, die vorsehen, dass alle zur gleichen Zeit das Gleiche lernen. Darum gibt es auch keine Zensuren, die das messen. An ihrer Stelle vergibt die Schule Berichte zum Lernvorgang, die beschreiben, wie sich ein Kind entwickelt, was und wie es gelernt hat. Diese Berichte bewerten auch, aber sie tun es nach einem anderen Maßstab als die Zensuren. Sie messen das Kind an seinen eigenen Möglichkeiten. Sie spiegeln ihm zurück, dass es gut gearbeitet hat, wenn es diese gut genutzt hat. Sie wollen vor allem also helfen, ermutigen, beraten. Normale Zensuren-Zeugnisse erhalten Laborschülerinnen und -schüler erstmalig am Ende des 9. Schuljahrs, weil sie sie dann für ihre Bewerbungen brauchen.

Lernen in Stufen und Erfahrungsbereichen

Der Lernweg von Laborschülerinnen und -schülern soll nicht aussehen wie ein Fließband, das gleichförmig schräg nach oben geht, sondern wie eine Treppe mit vier Stufen. Bei jedem Übergang soll das Kind deutlich erfahren, dass jetzt etwas Neues beginnt. Die Lernsituation „erweitert sich, wird komplexer, mutet dem Schüler mehr Selbstverantwortung und Freiheit zu“ (Hentig).

Diese Stufen sind Lebens- und Lernabschnitte. Sie umfassen zwei oder drei Jahre. In diesem Zeitraum sollen alle Kinder die wichtigsten Lernerfahrungen gemacht, die wichtigsten Lernschritte vollzogen haben, die das Profil dieser Stufe ausmachen. Zugleich werden viele Möglichkeiten individueller Entwicklung angeboten. Jede Stufe hat also ein eigenes Profil. Zugleich bauen sie aufeinander auf. Wie das konkret aussieht, schildern die folgenden Abschnitte.

Die üblichen Schulfächer kommen auf dem Stundenplan der Laborschule vielfach gar nicht vor. Wenn Kinder beispielsweise in den Wald gehen, erleben und erfahren sie dort nicht Biologie oder Physik oder Chemie, sondern eben „Wald“. Sie können dort vieles erkunden, erforschen, beobachten, lernen. Aber das ist noch nicht in Fächer gegliedert. In der Altersstufe der 5-8Jährigen soll das Lernen so sein, wie Kinder die Welt sehen: ganzheitlich und ungefächert.

Wenn Jugendliche im 7. oder 8. Schuljahr den Wald erkunden, sieht das natürlich anders aus. Dann geht es beispielsweise um das Ökosystem Wald oder um den Wasserkreislauf oder um Waldschäden. Die Fragen sind spezieller geworden und ebenso die Art des Lernens. Die Jugendlichen haben gelernt, dass man die Welt auf ganz unterschiedliche Weise erkunden kann, dass die Erfahrungen, die man dabei macht, unterschiedlichen Bereichen angehören.

Diese Erfahrungsbereiche treten an der Laborschule an die Stelle von Fächern. Genauer: Sie bilden sich allmählich aus dem ganzheitlichen Lernen der Kleinen heraus, und aus ihnen entwickeln sich nach oben hin mehr und mehr fachliche Spezialisierungen.

Am Beispiel Wald: Wenn wir nach dem Ökosystem fragen oder nach dem Wasserkreislauf, erkunden wir den Gegenstand wie Naturwissenschaftler, mit ihren Fragen und Methoden: beobachtend, messend, experimentierend. Wenn wir hingegen nach der Bedeutung des Waldes für die Menschen fragen, gehen wir wie Sozialwissenschaftler vor. Oder wir fragen, wie der Wald in der Phantasie von Menschen lebendig wird, zum Beispiel in Geschichten und Bildern. Wir nähern uns dem Thema Wald, wie Künstler das tun: erfindend, gestaltend, spielend. Oder wir fragen, wie der Wald in unserer kulturellen Überlieferung bewahrt wird, in Gedachtem, Gesprochenem, Geschriebenem.

Für diese Erfahrungsbereiche hat der Gründer der Laborschule, Hartmut von Hentig, Bezeichnungen gewählt, die die Verbindung von Lernen und Erfahrung betonen. Zugleich wird in ihnen sichtbar, welche Fächergruppen darin enthalten sind.

Hier eine Übersicht:

Traditionelle Fächer Erfahrungsbereiche
Geschichte, Politik, Geographie, Religion, Philosophie, Psychologie, Soziologie... Umgang von Menschen mit Menschen (Sozialwissenschaft)
Biologie, Physik, Chemie, Ökologie... Umgang mit Sachen: beobachtend, messend, experimentierend (Naturwissenschaft)
Kunst, Musik, Theater, Textilgestaltung, Design... Umgang mit Sachen: erfindend, gestaltend, spielend (Wahrnehmen und Gestalten)
Sport, Gymnastik, Tanz, Hygiene, Körperpflege, Selbstverteidigung... Umgang mit dem eigenen Körper (Körper- erziehung, Sport und Spiel)
Sprache, Literatur, Fremdsprachen, Mathematik... Umgang mit Gedachtem, Gesprochenem und Geschriebenem (Sprache, Mathematik)

 

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