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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

2.5   Zusammenfassung von Punkt 2

Die unter Punkt 2 dargestellten Aspekte: IOC-Politik, Entwicklungsstand des Wintersports zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Darbietung diverser Wintersportveranstaltungen, insbesondere der Nordischen Spiele, geben eine bessere Orientierung für die verspätete Genese Olymischer Winterspiele.
Als Ausgangspunkt für die Entwicklung Olympischer Winterspiele dienten die alljährlich stattfindenden Tagungen bzw. die Kongresse des IOC. Die Analyse dieser Veranstaltungen ergab zwar, daß man sich schon auf der Gründungsversammlung des IOC im Jahre 1894 Gedanken über Wintersportwettbewerbe gemacht und diese auch im Programm für die Olympische Spiele fixiert hatte, daß deren Realisation jedoch in den ersten Jahren an technischen und klimatischen Bedingungen scheiterte.
Fanden 1908 und 1920 Eiskunstlauf- bzw. Eishockeywettbewerbe im Rahmen Olymischer Sommerspiele statt, so war dies nur aufgrund von vorhandenen Anlagen und der schon weit fortgeschrittenen Entwicklung des Eislaufes zu bewerkstelligen. Für die Olympischen Spiele von 1916 hatte man zwar Wintersportwettbewerbe im Schwarzwald geplant und sich auch um die entsprechenden Anlagen gekümmert, doch dann machte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Durchführung der Wintersportwettbewerbe wie auch die Spiele der VI. Olympiade zunichte.
Den entscheidenden Durchbruch für das Unternehmen "Olympische Winterspiele" brachte die IOC-Tagung von Lausanne im Jahre 1921. Hier bewilligte das IOC dem Ausrichter der Spiele der VIII. Olympiade die Ausrichtung einer Internationalen Wintersportwoche, die jedoch nicht Teil der Spiele sein durfte. Mit dieser Entscheidung mußte sich auch das schwedische IOC-Mitglied Sigfrid Edström, Nachfolger von Viktor Balck, abfinden. Insgesamt war Edström jedoch weitaus moderater eingestellt als sein Vorgänger Balck. Balck, Initiator der Nordischen Spiele, hatte während seiner Amtszeit als schwedisches IOC-Mitglied fortwährend versucht, die Entwicklung Olympischer Winterspiele zu bremsen. Dies war ihm größtenteils auch gelungen, wie die Veranstaltung der Olympischen Spiele 1912 veranschaulicht. Hier konnte er die Diskussion um eine Ausrichtung von Wintersportwettbewerben ausschalten, weil die Nordischen Spiele für das Jahr 1913 anstanden. Seine Interessenpolitik konnte er auch durch die Freundschaft zu dem damaligen IOC-Präsidenten, Baron Pierre de Coubertin, stützen, der in punkto Wintersport die gleiche Meinung vertrat.
Die hier genannte Freundschaft Coubertins zu Balck und der Erfolg der Nordischen Spiele ließen die Olympia-Ambitionen zahlreicher Wintersportbegeisterter bis zu Beginn der zwanziger Jahre ins Leere laufen. Erst der auf der IOC-Tagung bzw. dem IOC-Kongreß von 1921 verstärkt auf ihn ausgeübte Druck, veranlaßten Coubertin zur Bewilligung einer Internationalen Wintersportwoche.

 

3   Olympische Spiele im Schatten des Ersten Weltkrieges

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges mit dem Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 legte nicht nur die olympische Bewegung für mehrere Jahre lahm, sondern machte auch die für 1916 in Berlin geplanten Olympischen Spiele zunichte.

"Durch die Eskalation des Krieges schien es absurd, den olympischen Gedanken und seine völkerverbindende Idee überhaupt noch aufrecht zu erhalten; überdies brach der Kontakt zwischen den verschiedenen nationalen olympischen Organisationen fast völlig ab. In dieser Situation machte Pierre de COUBERTIN seinen Einfluß geltend, die Spiele prinzipiell nicht in ein außereuropäisches Land zu transferieren, obgleich mehrere Städte der USA und auch Havanna Interesse angemeldet hatten. Damit fielen die VI. Olympischen Spiele, die 1916 in Berlin geplant waren, dem Krieg zum Opfer."

GIESELER, S./MÜLLER, N.: Olympische Spiele im Schatten des 1. Weltkrieges. In: Müller, N./ Messing, M. (Hrsg.): Auf der Suche nach der Olympischen Idee. Facetten der Forschung von Athen bis Atlanta. Kassel 1996, S.136.

Selbst die Tatsache, daß das IOC die Spiele der VII. Olympiade gemäß dem vierjährigen Rhythmus im Jahre 1920 realisieren konnte, täuscht nicht darüber hinweg, daß der Erste Weltkrieg auch hier seine Auswirkungen hatte. Dieser ließ sich bereits während der Trainingsvorbereitungen für die Olympischen Spiele 1920 in Antwerpen beobachten. Waren hier besonders bei den Männern im Alter zwischen 18 und 26 Jahren große Lücken, konnten die USA, bedingt durch ihren relativ späten Eintritt in das Kriegsgeschehen, ein großes Aufgebot an Athleten vorweisen. Trotz der zahlreichen Opfer des Ersten Weltkrieges und der Beeinträchtigungen der teilnehmenden Nationen können die Spiele von Antwerpen als eine Bestätigung der olympischen Idee angesehen werden.

"Allein an der starken Beteiligung war zu erkennen, daß auch die Schrecken des 1. Weltkrieges das Werk Coubertins nicht hatte zerstören können. Angesichts der Wunden des Krieges bekannten sich die Völker stärker denn je zu den olympischen Postulaten, zur Festigung des Friedens, zur Völkerverständigung und zur Entfaltung der Demokratie. Der Boden für den modernen Olympismus war fruchtbarer noch geworden."

FIEBELKORN, J./WESTPHAL, H.: Die Olympischen Spiele von Athen bis Mexiko-Stadt. Berlin 1969, S. 54.

Die Überlegenheit der amerikanischen Sportler war nicht nur im Rahmen der Wettkampfvorbereitungen zu spüren, sie zeichnete sich besonders deutlich in der Nationenwertung jener Spiele ab, auch wenn dies an den Ergebnissen der Wintersportwettbewerbe selbst nicht gerade deutlich wird (vgl. Punkt 2.4.4).
Inwieweit Antwerpen, oder besser gesagt Belgien, bei der Kandidatur um die Spiele der VII. Olympiade bevorzugt wurde, ist nicht ganz eindeutig. Die guten Beziehungen Coubertins zum belgischen IOC-Mitglied Baillet-Latour, wie auch die zahlreichen außereuropäischen Kandidaten für diese Spiele, welche er im obigen Zitat dementiert, sprechen geradezu für Antwerpen.
Die Tatsache, daß gerade Belgien durch den Ersten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, lassen vermuten, daß die Olympischen Spiele von 1920 einen gewissen Wiedergutmachungsaspekt hatten.
In diesem Zusammenhang muß auch auf die deutsch-belgische Beziehung eingegangen werden. Deutschland hatte beim Ausbruch des Krieges im Jahre 1914 die belgische Neutralität mißachtet und war mit seinen Truppen auf dem Weg nach Frankreich durch Belgien gezogen. Ziel dieser Aktion war es, die Befestigungen der "Maginot-Linie" an der deutsch-französischen Grenze zu umgehen.
Dieser Fehlschritt Deutschlands in seiner Kriegsstrategie blieb jedoch nicht ohne Folgen. Dies veranschaulicht der Versailler Friedensvertrag, der zum 10. Januar 1920 in Kraft trat, deutlich. Demzufolge hatte das geschlagene Deutschland nicht nur die Gebietsabtretungen an der West-, Ost- und Nordgrenze, die Reparationszahlungen an die Siegermächte und die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg anzuerkennen, sondern mußte auch den Ausschluß aus der olympischen Bewegung hinnehmen.
Während den feindlichen Mittelmächten nur eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 1920 untersagt wurde (vgl. Punkt 2.4.4), mußte Deutschland bis zum Olympischen Kongreß 1925 in Prag warten, um wieder zwei Vertreter in das IOC entsenden zu dürfen.

"Die Rückkehr (Deutschlands, der Verfasser) in die Olympische Bewegung muß in diesem Zusammenhang mit der in dieser Zeit einsetzenden politischen Entspannung in Mitteleuropa gesehen werden (...) Im Vertrag von Locarno bestätigten Deutschland und Frankreich bzw. Deutschland und Belgien gegenseitig die 1919 geschaffenen Grenzen. Diese Entwicklung fand ihren Abschluß im September mit der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund."

LENNARTZ, K.: Die Weimarer Republik. In: Lämmer, M.: Deutschland in der Olympischen Bewegung. Eine Zwischenbilanz. Hrsg. vom NOK für Deutschland. Frankfurt /Main 1999, S. 98.

Somit durfte Deutschland erstmals wieder an den Spielen der IX. Olympiade im Jahre 1928 teilnehmen.

 
3.1   Der Ausschluß Deutschlands aus der olympischen Bewegung

Wegen seines Verhaltens im Krieg war Deutschland von 1917 bis 1925 praktisch nicht im IOC vertreten. Somit war auch eine Teilnahme deutscher Sportler an den Spielen der Olympiade in Antwerpen und der VIII. in Paris nicht möglich.
Auch an den Inter-Allied Games, die 1919 in Paris ausgetragen wurden, um den noch verbliebenen Sportlern "eine Art Generalprobe für die nächsten Olympischen Spiele" zu ermöglichen, durften die Deutschen nicht teilnehmen.

LENNARTZ, K.: Die Weimarer Republik. In: Lämmer, M.: Deutschland in der Olympischen Bewegung. Eine Zwischenbilanz. Hrsg.vom NOK für Deutschland. Frankfurt /Main 1999, S. 90.

 
Diese Ausgrenzung der deutschen Sportler von der Bühne des internationalen Wettkampfsports - nochmals untermauert durch den Versailler Vertrag von 1919 nochmals untermauert - führte dazu, daß in Deutschland eine Art Gegenbewegung zu den Aktivitäten des IOC entstand.
Da die geplanten Olympischen Spiele von Berlin 1916 aufgrund des Krieges nicht stattfanden und Deutschland aus der olympischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, wurde der Deutsche Reichsauschuß für Olympische Spiele (DRAfOS) und seine, auf die Durchführung olympischer Spiele fokussierte Arbeit, hinfällig. Im Mittelpunkt der deutschen Bestrebungen stand nunmehr nicht der internationale, sondern der nationale Aspekt.
Aus diesem Grund wurde der ehemalige DRAfOS im Jahre 1917 in den Deutschen Reichsausschuß für Leibesübungen (DRAfL), mit Carl Diem als Generalsekretär, umbenannt.

"Mit den Anträgen auf Änderung des Namens wurde deutlich, daß man sich von den Vorstellungen des internationalen Sports abwenden wollte und gleichzeitig noch deutlicher als bisher den Anspruch erhob, Dachorganisation des deutschen Sports zu sein."

LENNARTZ, K.: Die Weimarer Republik. In: Lämmer, M.: Deutschland in der Olympischen Bewegung. Eine Zwischenbilanz. Hrsg.vom NOK für Deutschland. Frankfurt /Main 1999, S. 86.

Für Deutschland zählten fortan nur noch die "Nationalen Olympischen Spiele", die den Namen "Deutsche Kampfspiele" erhielten. Das Programm ähnelte stark dem der Olympischen Spiele, so fanden sowohl eine Sommer - als auch eine Winterveranstaltung statt.
Neben dem ähnlichen Wettkampfprogramm der Deutschen Kampfspiele, u.a. Eiskunstlaufen, Bobfahren, Eisschnellauf und Eishockey, deuten auch der Zyklus der vier Jahre zwischen den Olympischen Spielen und die Gold-, Silber- und Bronzeplaketten für die Sieger auf eine Anlehnung an die Internationalen Olympischen Spiele hin.
Vor allem die führende Stellung Carl Diems in der neu gegründeten Organisation dürfte die Einführung der Wintersportwettbewerbe positiv beeinflußt haben, denn Carl Diem war der für die Planung der Wintersportwettbewerbe der geplanten Olympischen Spiele von Berlin 1916 Verantwortliche gewesen.
Bereits vor der Beschlußfassung des IOC zur Durchführung einer Wintersportwoche wurde vom DRAfL eine zweigleisige Veranstaltung mit Winter- und Sommerwettbewerben geplant.
Ebenso wurde hier bereits frühzeitig eine Aufnahme von Wettbewerben für Frauen anvisiert, die trotz der Vorbehalte Coubertins in bezug auf die Olympischen Spiele auch später im Programm der Olympischen Spiele Einzug halten sollten.

"Frauen konnten nicht nur im Eiskunstlauf, sondern auch im Rodeln und Skilanglauf melden."

LENNARTZ, K.: Die Weimarer Republik. In: Lämmer, M.: Deutschland in der Olympischen Bewegung. Eine Zwischenbilanz. Hrsg. vom NOK für Deutschland. Frankfurt /Main 1999, S. 88.

Bei der Internationalen Wintersportwoche in Chamonix 1924 war es den Frauen lediglich gestattet, im Eiskunstlaufen an den Wettkämpfen teilzunehmen.

 

3.2   Die innenpolitische Situation Frankreichs im Vorfeld der Internationalen Wintersportwoche in Chamonix 1924

In innenpolitischer Hinsicht war das Frankreich der Nachkriegszeit stark geprägt durch die unmittelbaren Kriegsfolgen, die sich vor allem in der Zerstörung der Industrie, der Kriegsverschuldung, der Überalterung der Bevölkerung und einer instabilen politischen Führung niederschlugen.
Der Erste Weltkrieg hatte eine Million junger Franzosen das Leben gekostet, drei weitere Millionen waren verwundet worden. Große Landstriche, wie zum Beispiel das französische Flandern und die französischen Ardennen, waren über weite Strecken verwüstet. Der Staat war verschuldet und die Inflation in Frankreich stieg in schwindelerregende Höhen.
Die fraglichen Gewinne, die Frankreich durch den ersten Weltkrieg und den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 erzielte, waren vergleichsweise gering. Es bekam die Landesteile Elsaß und Lothringen zurück und durch den Friedensvertrag von Versailles von den Deutschen umfangreiche Reparationszahlungen.
Die Schrecken des Krieges hatten in der französischen Bevölkerung deutliche Spuren hinterlassen und führten dazu, daß sich im Frankreich der damaligen Zeit viele Franzosen in Friedensbewegungen engagierten. Auch der Staat trug hierzu seinen Teil bei, leistete er doch auf internationalen Abrüstungskonferenzen grundlegende Beiträge. Der Wiederaufbau der zerstörten Städte, Gebiete und infrastrukturellen Einrichtungen wurde zunächst aus den deutschen Reparationszahlungen finanziert. Als diese ausblieben, besetzten französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet, um der Forderung nach einer Fortsetzung der Reparationsleistungen Nachdruck zu verleihen. Die Franzosen protegierten vehement die These von der Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg.
Die Nachkriegsjahre gingen auch einher mit einer raschen Aufeinanderfolge kurzlebiger Regierungen, die jedoch alle auf die gleichen Ziele ausgerichtet waren, so daß die politische Stabilität einigermaßen gesichert war.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003