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30 Jahre Bielefelder Laborschule:
Vorreiter für die Schule von morgen

Europaweit einmalig: Laborschule des Landes NRW an der Universität Bielefeld

(17.12.2004) Es ist 14 Uhr, die große Mittagspause ist vorbei. Doch kein Gong ertönt, niemand drängelt sich auf engen Schulfluren und kein Lehrer scheucht hektisch seine Schüler ins Klassenzimmer. Ganz von selbst finden sich die Kinder in ihren Gruppen ein. Dann besprechen sie gemeinsam mit ihren Lehrerinnen und Lehrern das Nachmittagsprogramm - Alltag an der Bielefelder Laborschule.

Besucher der Einrichtung an der Universität Bielefeld sind meistens erst einmal verwirrt, weil es keine Klassenräume gibt. Sie stehen verloren in einem großen Raum ohne Wände und wundern sich, dass es trotzdem recht ruhig zugeht. Statt Klassenverbänden gehören die Kinder einzelnen Lerngruppen an. Diese haben zwar Stammgruppenflächen, sind aber dennoch nie völlig voneinander abgeschirmt. Es gibt auch keine Noten und somit kein Sitzenbleiben. „Das ist für viele befremdlich und unvorstellbar“, weiß Schulleiterin Prof. Dr. Susanne Thurn, die seit 1978 in der Laborschule unterrichtet. „Aber Noten sind kein geeignetes Mittel, um Kinder zum Lernen anzuregen, weil dann nicht die Sache und das Lernen des Lernens im Mittelpunkt stehen.“

Leistungsstarke und -schwache Kinder werden hier nicht voneinander getrennt - im Gegenteil. „Wir bejahen die Unterschiede zwischen den Kindern ganz bewusst und verstehen sie als Bereicherung. Kinder nach Fachleistungen zu selektieren, schwächt nur ihr Selbstbewusstsein und hinterlässt bei einigen gar psychische Störungen.“ Der Unterricht ist stark individualisiert, nimmt Rücksicht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten. Ein erfolgreiches Konzept. Die Ergebnisse, die Laborschüler in einer an PISA angelehnten Studie des Max-Planck-Instituts Berlin vor zwei Jahren erzielten, belegen eindrucksvoll, dass die unkonventionellen Lehr- und Lernmethoden aus Bielefeld den richtigen Weg weisen. So lagen die durchschnittlichen Leistungen der 15-Jährigen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften deutlich über den Mittelwerten Nordrhein-Westfalens.

Darüber, dass Politiker und Pädagogen in die erfolgreichen skandinavischen Nachbarländer aufbrachen, um sich ein Bild vom dortigen Schulsystem zu machen, freut sich Schulleiterin Susanne Thurn, denn skandinavische Schulen arbeiten sehr ähnlich wie die Bielefelder Laborschule. Als Versuchsschule hat die Laborschule beispielsweise von Anfang an das frühe Fremdsprachenlernen eingeführt (Englisch ab der 3., die zweite Fremdsprache ab der 5. Klasse) und dafür die Unterrichtsmaterialien selbst entwickeln müssen, denn auf dem Markt gab es damals nichts. Von diesem Engagement profitieren Schüler und Lehrer im gesamten Bundesgebiet noch heute, denn das prämierte Lehrbuch „Ginger. Beginner's English“ aus dem Cornelsen Verlag stammt von den Lehrerinnen Ulrike Kraaz und Birgit Hollbrügge, die beide an der Laborschule Bielefeld unterrichten. Das Buch wurde im November 2004 von der European Educational Publishers Group mit einem Silver Award in der Kategorie „Books For Primary School“ ausgezeichnet.

Ein Beispiel unter vielen für die erfolgreiche Arbeit an der Laborschule Bielefeld, die nicht nur staatliche Versuchsschule des Landes NRW ist. Als wissenschaftliche Einrichtung der Fakultät für Pädagogik an der Universität Bielefeld werden hier nicht nur neue Formen des Lehrens und Lernens entwickelt und erprobt, sondern auch evaluiert. „Wir haben also die einmalige Möglichkeit, unser Handeln zu reflektieren und unsere Erfahrungen anderen zugänglich zu machen, denn an der Laborschule sind wir als Lehrerinnen und Lehrer zugleich Forscherinnen und Forscher.“

Ein Wissenschaftlicher Beirat begleitet die Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Laborschule kritisch. Jährlich wird in einem umfangreichen Bericht an die Universität und an das Ministerium für Schule, Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW über die Ergebnisse berichtet. „Wir sind verpflichtet, der Gesellschaft gegenüber zu rechtfertigen, was wir tun, warum wir es tun und welche Erfolge wir damit erzielen.“ Das macht die Laborschule Bielefeld einzigartig in ganz Europa. „Universitätskliniken gibt es viele, ‚Universitätsschulen‘ keine einzige außer dieser hier in Bielefeld - das ist sehr schade“, so Susanne Thurn. „Denn von unseren Erfahrungen können Schulen profitieren. Wir dokumentieren unsere Erkenntnisse in zahlreichen Veröffentlichungen, sind als Moderatorinnen und Moderatoren in der Lehrerfortbildung unterwegs, werden häufig zu Vorträgen eingeladen und bilden Studierende aus.“

Die Laborschule wurde von dem Pädagogen Hartmut von Hentig gegründet und 1974 eröffnet. Der emeritierte Professor war Gründungsdekan der Fakultät für Pädagogik an der Universität Bielefeld, die 1969 als Reformuniversität mit stark interdisziplinärem Schwerpunkt gegründet wurde. In dieses Konzept fügte sich von Hentigs damalige Vision einer Experimentierschule hervorragend. Der heute 79-Jährige plante mehr als eine Vermittlungsanstalt für Schulwissen. Geprägt von Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, sah und sieht Hartmut von Hentig die Erziehung zur Politik als eine Hauptaufgabe der Schule an. Schule als Gesellschaft im Kleinen, als Lebens- und Erfahrungsraum - von Hentig nannte diese Schulwelt „Polis“ und verstand sie als Gemeinschaft aller in ihr tätigen Personen. Demokratisches Denken und Handeln werden im täglichen Miteinander geübt. Gezielt wird daher auf eine homogene Schülerschaft verzichtet, denn dann würden die Kinder die gesellschaftliche Vielfalt nicht kennenlernen.

Rund vier Jahre umfasste die Planung der Laborschule, dazu gehörte auch die außergewöhnliche Architektur des Gebäudes, die in Zusammenarbeit mit Pädagogen entstand. 60 Schülerinnen und Schüler wurden vor 30 Jahren eingeschult, 1985 verließ dieser erste Jahrgang die Laborschule. Jedes Jahr werden 60 Schülerinnen und Schüler nach einem Aufnahmeschlüssel aufgenommen. Dieser soll gewährleisten, dass die Schülerpopulation die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelt. Die Laborschule umfasst die Jahrgänge 0 (Vorschuljahr) bis 10 und ist in vier Stufen gegliedert. Erst ab Ende des 9. Schuljahres erhalten die Schülerinnen und Schüler ein Notenzeugnis, so dass sie nach dem 10. Schuljahr ein Abitur an der Schule ihrer Wahl oder eine Ausbildung machen können. Probleme beim Abitur oder der Ausbildung haben Laborschüler nicht. Dazu Dr. Annemarie von der Groeben, Didaktische Leiterin der Laborschule: bdquo;Unsere Schüler haben frühzeitig gelernt, dass es darauf ankommt, was sie mit ihren Fähigkeiten machen. Und weil wir einen Leistungsbegriff haben, der ihnen vermittelt: ‚Du bist dann gut, wenn du tust, was du tun kannst. Also miss dich nicht am Nachbarn, sondern miss dich an dir selber.‘ Und das ist eine sehr hohe Leistungsanforderung.“

Kontakt:
Prof. Dr. Susanne Thurn
Schulleiterin der Laborschule des Landes NRW an der Universität Bielefeld
Universitätsstraße 21
33615 Bielefeld

E-Mail: susanne.thurn@uni-bielefeld.de
www.laborschule.de

Neuerscheinung zum Thema:
Susanne Thurn, Klaus-Jürgen Tillmann (Hrsg.): Laborschule – Modell für die Schule der Zukunft. Klinkardt Verlag, Bad Heilbrunn, 2005

„Noten sind kein geeignetes Mittel, um Kinder zum Lernen anzuregen“.
Prof. Dr. Susanne Thurn ist Schulleiterin der Laborschule des Landes NRW an der Universität Bielefeld.
Bild: Susanne Freitag

 

In der Laborschule Bielefeld gibt es keine Klassenräume.
Die Kinder lernen gemeinsam in Lerngruppen.
Diese haben zwar Stammgruppenflächen, sind aber nie völlig voneinander abgeschirmt.
Laut ist es dennoch nicht.
Bild: Susanne Freitag

 

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Warum ist die Laborschule anders? 

 

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