DEUTSCH Legasthenie |
Wenn Eltern und Schule Hinweise auf eine Legasthenie beobachtet haben, sollte unbedingt geklärt werden, ob es sich um eine leichter oder schwerer ausgeprägte Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) oder um Übungsdefizite (Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten) handelt (vgl. Tabelle 1).
Eine Legastheniediagnose kann sachgerecht nur im Zusammenwirken von Fachärzten und Diplompsychologen mit der Schule und dem Elternhaus gestellt werden. Kindern mit einer ausgeprägten Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) steht eine Schulzeit mit erhöhten Anstrengungen – in der Regel während der gesamten Schullaufbahn – bevor.
Die weitere schulische und Persönlichkeitsentwicklung des Legasthenikers ist nun davon abhängig, wie die Umwelt auf die Legasthenie reagiert. Wird dem Kind nicht schon in einem frühen Stadium angemessene Hilfe zuteil, kann es sehr schnell in psychische »Teufelskreise« geraten: Es entwickelt Schulunlust, die rasch auf andere Fächer übergreift. Sein Selbstvertrauen verliert sich, Minderwertigkeitsgefühle stellen sich ein. Schließlich traut das Kind sich gar keine Leistung mehr zu und sein ganzes Verhalten wird durch sein Versagen geprägt. Aggressive und depressive Verhaltensstörungen sind häufig die Folge.
Eine frühzeitige Diagnose kann solche negativen Entwicklungen verhindern, sofern sie ernst genommen wird und Eltern und Schule verständnisvoll darauf reagieren. Das Problemverständnis bei Eltern, Lehrern und in der Klassengemeinschaft stellt wohl die wichtigste Voraussetzung für sachgerechte Hilfen dar.
Schule und Eltern sollten in der Hilfe für Legastheniker an einem Strang ziehen, das heißt gemeinsam die Diagnose anerkennen und sie auch mit dem Kind besprechen, auf die Stärken des Kindes achten, sie fördern und hervorheben und nicht zuletzt auch kleinste individuelle Erfolge loben! Für konkrete Übungshilfen aber gibt es grundsätzlich drei Empfehlungen:
Spiele zur Vorbereitung auf das Lesen- und Schreibenlernen können bereits vor der Einschulung, besonders aber zu Beginn der ersten Klasse zu Hause eingesetzt werden. Dabei sollen Kinder, denen die entsprechenden Leistungen schwer fallen, zunächst nur mit wenigen Karten spielen, damit sie nicht von vornherein den Mut verlieren.
Eltern können sich Bilder für die nachfolgend
empfohlenen Spiele aus den käuflichen Memoryspielen heraussuchen, aus Übungsheften
für »lautgetreues Rechtschreibtraining« oder »akustisches
Rechtschreibtraining« zusammenstellen oder sie selber zeichnen. Alle diese
Spiele werden als Aufdeckmemorys gespielt. Das heißt, eine einmal aufgedeckte
Karte bleibt offen liegen, damit die Spieler mehrere Bilder vergleichen können.
Lautgebärden sind Handzeichen, die im Prinzip
jedem Laut der Sprache zugeordnet werden, allerdings bei Buchstaben, die für
denselben Laut stehen (z. B. V und F), auch jedem Buchstaben.
Lautgebärden haben sich im Erstleseunterricht und in Intensivmaßnahmen für
schwer legasthene Kinder sehr bewährt: Sie unterstützen die Zuordnung von
Lauten und Buchstaben, die Unterscheidung ähnlicher Buchstabenformen sowie ähnlicher
Laute, die Verschmelzung zweier Laute zur Silbe.
Sie erleichtern alle diese Leistungen, indem sie
unterschiedliche Kompensationsmöglichkeiten für Teilleistungsschwächen in der
visuellen Wahrnehmung, der Wahrnehmung der Sprachlaute, der
Artikulationsbewegungen (kinästhetische Wahrnehmung), der melodischen und
rhythmischen Wahrnehmung sowie für die Zusammenarbeit von Hand und Auge bieten.
Lautgebärden stellen demnach eine multisensorische Hilfe dar.
Es werden jeweils sechs bis acht Karten mit zweisilbigen, dreisilbigen und
viersilbigen Wörtern zusammengestellt, möglichst Wörter ohne Konsonantenhäufung,
damit die Silbenzahl leichter feststellbar ist (z. B. Rose, nicht
Blume). Man benutzt diese Karten anstelle eines Würfels z. B. bei »Mensch
ärgere dich nicht« und ähnlichen Spielen.
Eine andere Spielart: Beim Aufdeckmemory dürfen je zwei Karten mit gleicher Silbenlänge als Paare herausgenommen werden.
Bei diesem Memoryspiel werden Bilder von Reimwörtern zusammengestellt. Es
darf immer ein Wortpaar, das sich reimt, herausgenommen werden (Rose –
Hose, Löwe – Möwe, Tisch – Fisch).
Hier geht es um Wörter mit gleichem Anfangslaut. Zunächst empfiehlt es
sich, nur Wörter mit dehnbaren Konsonanten auszuwählen, d. h.
Anfangslaute wie M, N, R, S, F, L, Z, W und Sch. Ein zweites Spiel sollte
dann Wörter mit den schwierigen Anfangslauten B, P, D, T, G, K enthalten. Fällt
es dem Kind schwer, diese Laute zu unterscheiden, kann man es anweisen, die
»Stotterbremse« zu ziehen, d. h. den Anfangslaut mehrfach zu
sprechen. In jedem dieser Spiele gibt es zu jedem Anfangslaut acht bis zehn
Wörter. Dadurch ergeben sich von Spiel zu Spiel stets unterschiedliche
Kombinationen von Wortpaaren.
Lesenlernen mit Lautgebärden
Unter neuropsychologischer Betrachtungsweise
verhelfen die Lautgebärden dazu, die Prozesse der Analyse und Synthese »nach
außen« zu verlegen, sie dadurch sichtbar und »begreifbar« zu machen. Eine
entscheidende Hilfe der Lautgebärden scheint demnach darin zu bestehen, dass
sie das laute, gedehnte, silbenweise Erlesen von Wörtern als motorische Stütze
begleiten. Es genügt nicht, die Handzeichen nur zu den isolierten Buchstaben
und Lauten in der ersten Phase des Leselernprozesses zu benutzen.
Abbildungen und Beschreibungen eines Lautgebärdensystems
und viele Übungshinweise finden sich in dem Buch »Mit Phantasie und
Fehlerpflaster« von DUMMER-SMOCH.
Wenn legasthene Kinder lesen gelernt haben,
bleibt immer noch das Problem der unzureichenden Rechtschreibung. Um in diesem
Bereich verlässlich aufbauen zu können, beschränken sich Fördermaßnahmen
zunächst auf lautgetreue Schreibungen. Dabei wird das silbenweise, rhythmische
Mitsprechen (nach BUSCHMANN) während des Schreibens eingeübt.
Sobald jedoch die Dopplung zu üben ist, wird die
Strategie des Mitsprechens zur so genannten »Pilotsprache« erweitert. Diesen
Begriff hat zunächst BREUNINGER (BREUNINGER/BETZ 1982) geprägt. Inzwischen hat
REUTER-LIEHR die damit gemeinte Vorgehensweise als »synchrones
rhythmisch-melodisches Sprechschreiben« ausführlich beschrieben. Ihre
Erfahrungen gehen dahin, dass der Lernprozess bereits sehr unterstützt wird, »wenn
Wörter beim Sprechen durch Klatschen und Schreiten in Silben gegliedert, beim
Lesen und Schreiben in Silben getrennt werden oder beim Schreiben lautierend
mitgesprochen wird.« Sie fährt fort:
Damit stellt diese Strategie, wie die Lautgebärden,
eine multisensorische Hilfe dar, mit der legasthene Kinder Teilleistungsschwächen
kompensieren können. Wenn Eltern diese Hilfen übernehmen und beim häuslichen
Üben anwenden, dann wird auch damit nicht die Legasthenie weggezaubert, doch
die Kinder erwerben eine Strategie, die erfolgreicher zum Aufbau der
Rechtschreibung führt als eine isolierte visuelle Strategie wie das
Auswendiglernen von Wortbildern für das nächste Diktat.
Der Bundesverband Legasthenie vertritt das
Anliegen, dass die Lern- und Förderbedingungen für lese- und
rechtschreibschwache Kinder in den Schulen verbessert werden. Dafür bedarf es
aber einer Reihe von Vorbedingungen: Ausbildung von Lehrern für den speziellen
Förderunterricht für Kinder mit erschwerten Leselernbedingungen, Ermutigungen
im Förderunterricht und in den regulären Schulstunden durch Anerkennung auch
kleiner Übungserfolge.
Immer dann, wenn die Schule über die notwendigen
Organisationsmöglichkeiten noch nicht verfügt, vor allem aber in Fällen
schwer ausgeprägter Legasthenie, sind Eltern auf außerschulische Fördermöglichkeiten
bzw. Therapien angewiesen.
Für den, der außerschulisch Hilfe sucht, stellt
sich jedoch ein Problem: Der Nachhilfe- und Förder-»Markt« boomt, nicht jedes
Angebot ist seriös und nicht jedes seriöse Angebot ist für Legastheniker
hilfreich! Wie sollen Eltern da die Spreu vom Weizen trennen?
Therapien werden in der Regel nach einer
entsprechenden ärztlichen Verordnung in klinischen Einrichtungen durchgeführt.
Von Psychologen angebotene Spiel- und
Verhaltenstherapien können Ängste abbauen und den »Teufelskreis« auflösen
helfen. Als Voraussetzung für Lese-Rechtschreib-Übungen können sie von großem
Wert sein. Sie ersetzen jedoch nicht die Übungen mit Wörtern, Silben und
Lauten.
Alle pädagogischen Übungsangebote
richten sich überwiegend auf das Training des Lesens und Rechtschreibens.
Da Eltern gerade in Bezug auf diese freien Angebote Rat suchen,
für die sie die Kosten in der Regel selbst tragen müssen,
hat der Bundesverband Legasthenie einen Fragenkatalog erstellt,
der Eltern als Orientierungshilfe dienen kann:
Diagnose
Zusammenarbeit der Fördereinrichtung
Bereiche der Förderung
Wer führt die Hilfen durch?
Methoden und Materialien der Förderung
Zusammenarbeit mit Eltern und Schule
Vertragsabschluss
Fragen Sie, für wie lange ein Vertrag
abgeschlossen wird. Eine Verpflichtung sollte Sie zunächst nur für ein halbes
Jahr binden, mit einer Kündigungsfrist von maximal drei Monaten – ohne
Angabe von Gründen. Außerdem sollte am Anfang eine mindestens vierwöchige
Probezeit vereinbart werden.
5. Haben Legastheniker auch Rechte?
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Rechtschreibenüben mit der »Pilotsprache«
»Die Beobachtung der Lese- und
Rechtschreibentwicklung meiner Förderkinder haben mir jedoch deutlich
gezeigt, dass der integrierende Ansatz des rhythmisch-melodischen
Sprechschreibens von Frau Buschmann eine noch tiefer gehende Korrektur
fehlerhafter Schreibstrategien ermöglicht. Dieser Ansatz – der Körpermotorik,
Sprechmotorik, Sprache und Atmung gleichermaßen aktiviert und integriert –
fördert zunächst sowohl das spontane als auch das deutliche und rhythmische
Sprechen des Kindes. Der so gewonnene Sprechrhythmus wird übertragen auf das
genaue silbengliedernde Lesen und das synchrone rhythmisch-silbierende
Sprechschreiben« (REUTER-LIEHR, 1992, S. 32).
Die Rhythmisierung der Sprache, wenn sie bewusst
auf das Mitsprechen beim Schreiben übertragen wird, stellt offenbar eine
wichtige und wirksame (körpereigene!) Steuerungshilfe dar, über die legasthene
Kinder von sich aus nicht verfügen. Beteiligt sind Sprache, visuelle und
akustische Wahrnehmung sowie motorischer Bewegungsablauf, die wie in einem
Regelkreis zusammenwirken und Artikulation, Schreibrichtung,
Wahrnehmungskontrolle und den Bewegungsfluss regulieren.
Außerschulische Hilfen
Eine Spieltherapie kann bei einem stark entmutigten Kind als Einstieg und
Voraussetzung für eine Lese-Rechtschreib-Förderung notwendig sein.
Die Spieltherapie allein ist jedoch nicht geeignet, Lese-Rechtschreib-Probleme zu lösen.