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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

6.4   Abschlußfeier

Für die Abschlußfeier am Vormittag des 5. Februar 1924 hatte man, wie bereits für die Eröffnungsfeier, das Eisstadion als idealen Ort für die offiziellen Feierlichkeiten ausgewählt. Zu diesem Ereignis hatten sich nicht nur viele Zuschauer eingefunden, sondern auch der IOC-Präsident Pierre de Coubertin persönlich. In seiner Begleitung waren die IOC-Mitglieder Baron Godefroy de Blonay, Graf Henri von Baillet-Latour, Marquis von Polignac, Graf Clary und Brigadegeneral R. J. Kentish. Zunächst versammelten sich die Delegationen bzw. die Repräsentanten der einzelnen teilnehmenden Nationen vor dem Palais des Sports, wo die Ergebnisse vom Vortag bekanntgegeben wurden. Anschließend wurden die Fahnen der drei Gesamtsiegernationen, Norwegen, Finnland und England, gehißt.

Baron Pierre de Coubertin beendete die Wintersportwoche von Chamonix und verlieh auch den Bergsteigerpreis für die Mount-Everest-Expedition.
In seiner Rede dankte Pierre de Coubertin zunächst den Athleten für ihr lobenswertes Verhalten und ihre Fairness bei den einzelnen Wettkämpfen und dann auch dem französischen Organisationskomitee für die exzellente Organisation dieser Wintersportwoche. Coubertin selbst traf eine erste Bewertung dieser Veranstaltung, in der er gleichzeitig noch die Meinung der Skandinavier zu dieser "semaine internationale des sports d'hiver" wiedergab.

"[...] ce premier tournoi olympique de sports d'hiver (a atteint; der Verfasser) le plus haut degré de perfection technique. Un des dirigeants scandinaves les mieux qualifiés disait hier qu'à bien des égards ce qu'on avait vu pourrait servir de modèle même dans l'organisation si réputée des Jeux du Nord."

COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 721.

"Même les Scandinaves, hostiles au début à leur introduction, reconnaissaient avec fair-play que jamais épreuves hivernales n'avaient suscité un tel enthousiasme, faisant notamment mieux connaître le ski nordique. La réussite de Chamonix était complète. Elle payait tous les sacrifices, toutes les veilles, toutes les angoisses de la préparation."

FRISON-ROCHE, R.: Chamonix 1924. In: Olympic Review (1982) 182, S. 736.

Anschließend kam er auf die Bedeutung des Wintersports unter den verschiedenen Sportarten zu sprechen. Bis dato hatte er sich zur Rolle des Wintersports im Rahmen des Sportartenkanons nur sehr wenig geäußert, so daß seine Stellung in punkto Wintersport nicht hundertprozentig erkennbar war. In den folgenden Sätzen sprach er sich jedoch deutlich für die Präsenz des Wintersports im Rahmen der Olympischen Spiele aus:

"Les sports d'hiver sont parmi ceux dont la pureté est la plus grande et c'est pourquoi j'ai, pour ma part, tant désiré les voir prendre place de façon définitive dans les manifestations olympiques. Ils nous aideront à veiller autour de l'idée sportive afin de la préserver du mal."

COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 721.

Im Anschluß daran wurden die Olympischen Diplome und die Medaillen an die drei Erstplazierten durch den Generalsekretär des NOK Frankreichs, Herrn Frantz Reichel, übergeben.

"Tous les concurrents, lorsqu'ils se présentèrent, furent acclamés, mais beaucoup d'entre eux avaient déjà quitté Chamonix, et les médailles et diplômes furent remis aux représentants des nations victorieuses."

LE TOURNOI OLYMPIQUE. In: L'Auto 06.02.1924, S. 4

Was die Gestaltung des Olympischen Diploms anbetrifft, so hatte es für den Entwurf keinerlei Wettbewerbsauschreibung gegeben. Die Gestaltung und Herstellung wurde laut offiziellem Berichtsband der Druckerei Debar übergeben, die auch schon das Programm des französischen Organisationskomitees entworfen hatte. Insgesamt wurden 2.000 Exemplare hergestellt. Nicht nur die drei Erstplazierten, sondern auch alle Athleten und Offiziellen erhielten ein solches Diplom.

Vgl. COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 837.

 
Selbst die Teilnehmer des Militärpatrouillenlaufs und des Curlingwettbewerbs erhielten dieses Diplom, wie auch die nachfolgend beschriebene Medaille. Anders als für die Gestaltung des Olympischen Diploms, fand für den Entwurf der Medaille ein Wettbewerb statt. Der Gewinner dieses Wettbewerbes, der Franzose Raoul Bénard, bekam den ehrenvollen Auftrag, die Sieger- bzw. Erinnerunsmedaille zu entwerfen. Während die Erst-, Zweit- und Drittplazierten eine Gold-, Silber- bzw. Bronzemedaille erhielten, hatte man es sich mit der Erinnerungsmedaille sehr einfach gemacht. Die Erinnerungsmedaille, die allen Athleten und Offiziellen übergeben wurde, entsprach in Design und Material der Bronzemedaille. Auch hier hatte man eine Auflage von 2.000 Exemplaren hergestellt.

Abb. 29:   Olympisches Diplom
Olympisches Diplom
Quelle: LENNARTZ, K./HÖFER, A./BORGERS, W. (Red.): Olympische Siege. Medaillen, Diplome, Ehrungen. Hrsg. vom Carl und Liselott Diem-Archiv. Berlin/München 2000, S. 18.

"Das Siegerdiplom (510 x 330 Milimeter) zeigt an der linken Seite vor dem Hintergrund einer Bergkulisse - das Panorama von Chamonix - einen Skifahrer, der auf die Sportstätten und den Ort blickt. Die in einem Tal liegende große Eisfläche ist umgeben von einzelnen Häusern. Auf dem Eis trainieren Athleten. Ein aus Tannenzapfen gebildeter Rahmen schmückt die Urkunde. In der rechten unteren Bildhälfte ist auf einer schildartigen Fläche vor Tannen und einem großen Lorbeerzweig der Text mit Hinweis auf die Wintersportwoche und das Ergebnis sowie der Name des jeweiligen Athleten (in diesem Fall Albert Hassler; der Verfasser) untergebracht."

LENNARTZ, K./HÖFER, A./BORGERS, W.: Olympische Siege. Medaillen, Diplome, Ehrungen. Hrsg. vom Carl und Liselott Diem-Archiv. Berlin/Müchen 2000, S. 173.

Direkt unter dem Namen des Athleten kann man die Sportart erkennen, für die der Athlet geehrt wurde. Unterzeichnet hatten der IOC-Präsident, Baron Pierre de Coubertin, und der Präsident des Organisationskomitees, Graf Justinien de Clary.

Abb. 30:   Siegermedaille
Siegermedaille
Quelle: http://www.IONeil.com/html/gallery/medals/c24.htm

Vorder- und Rückseite dieser Medaille wurden, wie bereits oben beschrieben, von Raoul Bénard entworfen. Die Vorderseite zeigt einen Wintersportler, der seine Arme leicht nach oben gestreckt hält. In der rechten Hand hält er ein Paar Schlittschuhe, in der linken hingegen ein Paar Ski. Im Hintergrund ist eine Gebirgskette zu sehen. Ob es sich hierbei um das Mont-Blanc-Massiv handelt, ist jedoch nicht gesichert. Am rechten Rand hat der Künstler seinen Namen hinterlassen.
Die Rückseite zeigt folgende sich über 14 Zeilen erstreckende Inschrift:
"Chamonix-Mont-Blanc. Sports d'Hiver. 25 janvier - 5 février 1924. Organisés par le Comité Olympique Français sous le haut patronage du Comité International Olympique à l'occasion de la VIIIe Olympiade."
An dieser Stelle muß jedoch auch erwähnt werden, daß sich die Sieger dieser Internationalen Wintersportwoche nicht als Sieger der Olympischen Spiele bezeichnen durften, und daß die hier verliehenen Medaillen bzw. Diplome nicht mit denen Olympischer Spiele übereinstimmen durften.
Die Norweger, die sich im Vorfeld der Veranstaltung als die vehementesten Gegner Olympischer Winterspiele herausgestellt hatten, errangen die meisten Medaillen, wie die folgende Tabelle verdeutlicht.

Tab. 30:   Medaillenwertung

NationGoldSilberBronze
NOR476
FIN433
AUT21-
USA121
SUI1-1
CAN1--
SWE1--
GBR-12
BEL--1
FRA--1
Quelle: KLUGE, V.: Winter-Olympia kompakt: Daten, Fakten, Hintergründe der Olympischen Winterspiele von 1924 bis 1992. Berlin 1992, S. 28.

      Tab. 31:   Nationenwertung      
PlatzNationPunkte
1.NOR134,5     
2.FIN76,5     
3.GBR30,0     
4.USA29,0     
5.SWE26,0     
6.AUT25,0     
7.SUI24,0     
8.FRA19,5     
9. CAN11,0     
10.TCH8,5     
11.BEL6,5     
12.ITA1,0     
Quelle: In Anlehnung an: ARNAUD, P./TERRET, T.: Le rêve blanc: Olympisme et Sports d'hiver en France: Chamonix 1924, Grenoble 1968. Bordeaux 1993, S. 66.

 

An die Überreichung der Diplome und Medaillen schloß sich die Verleihung des olympischen Bergsteigerpreises an. Da der Leiter der britischen Mount-Everest-Expedition, der Brigadegeneral Charles Granville Bruce, nicht zugegen sein konnte, überreichte Pierre de Coubertin den Preis, der für den Zeitraum der VIII. Olympiade bestimmt war, dem Generalleutnant E. L. Strutt.   (Beim Pariser Gründungskongreß im Jahre 1894 in Paris hatte man beschlossen, im Rahmen der Olympischen Spiele einen Preis für Alpinismus zu vergeben, womit die größte Leistung der vergangenen vier Jahre ausgezeichnet werden sollte. Bedingt durch technische Schwierigkeiten wurde dieser Preis erstmals bei der Internationalen Wintersportwoche 1924 in Chamonix vergeben.)  Nachdem nun auch dieser Preis vergeben war, beendete Coubertin die Wintersportwoche mit folgenden Worten:

"Au nom du Comité International Olympique, après avoir exprimé à la Ville de Chamonix et aux autorités départementales et municipales, ainsi qu'aux organisateurs des concours, notre vive reconnaissance, je proclame la clôture des Jeux d'Hiver donnés à l'occasion de la célébration de la VIIIe Olympiade de l'ère moderne."

COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 721.

Im Anschluß an diese Worte wurden die Hymnen der siegreichen Nationen gespielt, während die französische Hymne ungespielt blieb.
 

6.5   Zusammenfassung von Punkt 6

Wegen des einsetzenden Tauwetters wenige Tage vor Beginn der Wintersportwoche befürchtete man bereits, daß man die Wettbewerbe ausfallen lassen müßte. Doch das Wetter wurde so gut, daß die Wettbewerbe unter besten Wetterbedingungen stattfinden konnten.
Das fünf Sportarten umfassende Wettkampfprogramm wurde von einer Eröffnungs- und einer Abschlussfeier eingerahmt.
Insgesamt hatten sich 16 Nationen in dem hochsavoyischen Wintersportort eingefunden, um in den Sportarten Eishockey, Eislauf, Bobsport, Curling und Nordischer Skisport um Medaillen zu kämpfen.
Während der Militärpatrouillenlauf und das Curling eher eine Randposition im Wettkampfgeschehen einnahmen, waren v.a. das Eishockey, Skispringen und der Bobsport diejenigen Sportarten, die die meisten Zuschauer anzogen. Insgesamt muß das Publikumsinteresse an den einzelnen Wettbewerben eher mäßig bis schlecht eingestuft werden. Viele Interessierte waren aus Angst, keine Unterbringungsmöglichkeit finden zu können, lieber zu Hause geblieben. Die Zuschauer in Chamonix zog es zum Ende der Wintersportwoche vermehrt an die Orte des Geschehens.
Das Eisstadion war der zentrale Veranstaltungsort, denn hier fanden neben den Eislaufwettbewerben auch die des Curlings und die Eishockeyspiele statt. Außerdem bildete das Eisstadion den Start bzw. Zieleinlauf für die Skilanglaufwettbewerbe bzw. den Militärpatrouillenlauf.
Unter den 16 teilnehmenden Nationen stellten sich die Norweger als die erfolgreichste Nation heraus. Diese Überlegenheit zeigte sich neben den guten Plazierungen im Eisschnellauf v.a. im Nordischen Skisport, wo die norwegischen Sportler - den Militärpatrouillenlauf ausgenommen - fast alle Medaillen gewannen.
In der Nationenwertung lagen die Norweger mit 134,5 Punkten weit vor den mit 76,5 Punkten zweitplazierten Finnen und mit 30 Punkten drittplazierten Briten.
Wenn man die Mannschaftswertung einmal beiseite läßt, so waren die erfolgreichsten Athleten dieser Internationalen Wintersportwoche zweifelsfrei die Skandinavier Clas Thunberg, Thorleif Haug und Gillis Grafström.
Ein besonderes Augenmerk lag auf der Abschlußfeier, die am 5. Februar 1924 im Eisstadion in der Anwesenheit zahlreicher Offizieller des IOC stattfand. Selbst IOC-Präsident, Baron Pierre de Coubertin, hatte sich zu diesem Anlaß in Chamonix eingefunden. Er sprach nicht nur die Abschlußrede, sondern verlieh auch den Alpinismuspreis, der für die englische Mount-Everest-Expedition im Rahmen der VIII. Olympiade bestimmt war.
Inhalt dieser Abschlußfeier war auch die Vergabe der Olympischen Diplome und Medaillen an die Sieger bzw. die Athleten und Offiziellen.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003