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Deutsches Sport- und Olympiamuseum, Köln

Die olympische Idee im Wandel der Geschichte

Die enge Verknüpfung des Sports mit politischen Entwicklungen und Interessen wird an den Olympischen Spielen besonders deutlich. Das Zeremoniell der Siegerehrung zeigt durch das Abspielen der Nationalhymne und das Hissen der Fahne, dass olympische Siege keine reinen Privatangelegenheiten sind. Immer wieder haben Regierungen und Politiker sportliche Erfolge "ihrer" Athleten für eigene Interessen genutzt.
Die Wettkämpfe der alten Griechen spielten als Vorbild eine große Rolle für die Entwicklung des modernen Sports. Deshalb führt Sie die "Zeitschleuse" - entgegen den üblichen Zeitläufen - zunächst um mehr als 2000 Jahre zurück in die Antike.

Dieser imposante Herkules empfängt alle am Eingang zur Ausstellung im 1. Obergeschoss.

Wettkämpfe im antiken Griechenland

Für Kenner der antiken Sagenwelt ist die Kolossalstatue unschwer als Herakles zu erkennen, weil ihm Keule und Löwenfell beigegeben sind. Herakles war für die Griechen der Athlet per excellence. In einer Legende gilt er als Begründer der Wettkämpfe in Olympia.

Sporthistorisch ist eine solche Darstellung sehr aufschlussreich. Verrät sie doch nicht nur, dass der Künstler ein hervorragendes Auge für Anatomie und Proportionen hatte, sondern auch, dass er Modelle gehabt haben muss, die über ähnliche Muskelpartien verfügten. Wir alle wissen, dass sich eine solche Oberschenkelmuskulatur nicht von Natur aus entwickelt, sondern als Anpassung an ein langes und systematisches Krafttraining: das Modell des Künstlers war ein antiker Athlet. Welche Disziplin er ausgeübt haben könnte, zeigen Ihnen die Vitrinen auf der rechten Seite: Kampfsport, Speerwurf und Wagenrennen deuten auf den Ursprung der Leibesübungen in der Wehrertüchtigung.

Die Teilnahme an einem der vier heiligen "Kranzagone", deren Siegerkränze Sie vor sich sehen, waren Höhepunkte in der Laufbahn eines Athleten. Betreten Sie nun die überdimensionale Transportkiste, in der die Olympien, das Kultfest zu Ehren des Göttervaters Zeus, vorgestellt werden.

Zweifellos waren die Wettkämpfe, die von 776 v. Chr. bis 393 n. Chr. in Olympia ausgetragen wurden, das Vorbild für die Olympischen Spiele der Neuzeit.

Allerdings sah die Wirklichkeit im Altertum ganz anders aus, als sie sich die Begründer der modernen Olympischen Bewegung vorstellten.

  1. Der unterschiedliche Charakter zeigt sich schon in der Bezeichnung: OLYMPIAKOI AGONES bedeutet nämlich Olympische "Kämpfe" und nicht etwa "Spiele". Dieser irreführende Begriff beruht auf einer Fehlübersetzung ans dem Lateinischen, in dem es "ludi Olympici" hieß.

  2. Im Zentrum von Olympia - im Modell deutlich zu sehen - befand sich der von einer Mauer umgebene Tempelbezirk (Altis). Er war dem Zeus geweiht, dem höchsten Gott der Griechen. Folgerichtig nahmen auch nur diese an seinem Fest teil. Anders als heute waren Menschen anderer Religionen oder Völker genauso ausgeschlossen wie Frauen.

  3. Das griechische Wort "Stadion" ist eigentlich ein Längenmaß (ca. 192 m in Olympia). Schon in der Antike erweiterte sich der Begriff hin zum heutigen Sprachgebrauch. Stadion und Hippodrom waren die einzigen Wettkampfstätten und genügten für das gesamte Programm, das nur aus wenigen leichtathletischen Disziplinen, Kampfsportarten sowie Pferde- und Wagenrennen bestand. Das Prinzip der modernen Olympischen Spiele, möglichst alte weltweit verbreiteten Sportarten und Menschen aller Völker und Kulturen zu vereinen, war den antiken Griechen völlig fremd. Da die Wettkämpfe in Olympia so eng mit dem Zeus-Heiligtum verbunden waren, wäre es niemandem in den Sinn gekommen, das Fest an wechselnden Orten durchzuführen.

  4. Auch ihrer Idee von Friedensstiftung und Völkerverständigung verliehen die Begründer der modernen Olympischen Spiele ein vermeintlich antikes Vorbild. Historisch richtig ist, dass die Griechen ihre Zeusfeste trotz und während gleichzeitiger Kriege durchführten. Möglich wurde dies durch die Kraft der Religion. Teilnehmer und Zuschauer galten nämlich als Pilger zum Heiligtum des Zeus und standen unter seinem besonderen Schutz. So konnten sie auch durch Feindesland ziehen, ohne angegriffen zu werden. Von einer generellen Waffenruhe kann aber keineswegs die Rede sein. Weder in der Antike noch in der Neuzeit wurden Kriege wegen der Olympischen Spiele unterbrochen. Im Olympia-Modell finden Sie am Weg zum Stadion eine Reihe sog. "Schatzhäuser". Stolz zeigte man hier Trophäen und Beutestücke aus den zahlreichen Kriegen der griechischen Städte gegeneinander.

  5. Welche Bedeutung hatte der Sieg für einen antiken Athleten? Sie haben bereits die Siegerkränze gesehen. Sie bestehen aus Zweigen des Baumes, der dem jeweils verehrten Gott heilig war. Nur die Erstplatzierten erhielten diese symbolische Auszeichnung, die als Schlüssel zum glücklichen Leben glorifiziert wurde, wie das Zitat von Pindar belegt. Dabei wurden die Leistungen weder objektiv gemessen, noch fanden die Zweit- oder Drittplatzierten irgendeine Würdigung. Im Gegenteil, oft verlachte und verschmähte man sie. Die persönliche Leistung maßen die Griechen allein am Erfolg. Nur ein Sieg galt als etwas Bemerkenswertes. Besonders ehrenvoll war es, wenn ein Favorit überhaupt nicht antreten musste, weil seine Konkurrenten sich keine Siegchancen ausrechneten und daher nicht an den Start gingen (sog. - staubloser Sieg). Keine Spur von dem modernen olympischen Motto "Dabei sein ist wichtiger als siegen".

  6. Wenden Sie sich nun der Boxer Statue neben dem Olympiamodell zu. Das Regelwerk heutiger Sportarten dient u. a. auch dem Zweck, eine Gesundheitsgefährdung der Sportler zu vermeiden. Ein vergleichbarer ethischer Maßstab fehlte in der Antike. Die wenigen Regeln zielten darauf ab, einen Sieger zu ermitteln. Anderes war zweitrangig. Im Boxen fiel eine Entscheidung immer durch Aufgabe oder K.O. eines der Kontrahenten. Die Schläge wurden nicht durch Handschuhe gedämpft, sondern durch Riemen in ihrer Wirkung verstärkt. Entsprechend gezeichnet hat der Künstler das Gesicht dargestellt.

Ein kritischer Vergleich zeigt, dass die antiken Olympien und die Olympischen Spiele der Neuzeit außer dem Namen und einigen Äußerlichkeiten (z.B. dem 4-Jahres-Rhythmus) nicht viel gemeinsam haben.

Pierre de Coubertin hat 1896 nicht eine antike Idee zu neuem Leben erweckt, wie er selbst und seine Mitstreiter immer wieder behaupteten. Sein Ziel, sportlichen Wettkampf mit Charakterschulung, Völkerverständigung und Humanität zu verbinden, war Ausdruck der Denkweise seiner Zeit. Doch warum hat Coubertin einem Weltfest des Sports einen Namen gegeben, der eine antike Tradition vorgibt? Versetzen Sie sich in die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts und werfen Sie auch einen Blick auf die damalige "Konkurrenz" im Bereich der Leibesübungen.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003