Oberstufe: Differential- und Integralrechnung |
Oberstufenskript Differential- und Integralrechnung für Grund- und Leistungskurse von Jürgen Rohde |
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3. Das Beweisverfahren der vollständigen Induktion
Ein Teilgebiet der Philosophie, die Erkenntnistheorie,
befasst sich mit der Frage, wie der Mensch wahre Aussagen gewinnen und ihre Wahrheit sichern kann.
Zwei wesentliche Methoden sind die Induktion und die Deduktion.
Die erstere bedeutet den Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine,
ein in den Naturwissenschaften sehr geläufiges Verfahren;
die letztere umgekehrt den Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere,
wie z.B. für a, b
Offensichtlich ist die Deduktion das der Mathmatik zuzuordnende angemessene Erkenntnisverfahren.
Das induktive Verfahren kann offenbar nicht ohne Zweifel zu sicheren Aussagen führen.
Der Name "vollständige Induktion" ist im Grunde widerspruchsvoll und in der Sache auch unberechtigt.
Wie zu sehen sein wird, handelt es sich in Wahrheit um ein deduktives Verfahren.
1. Beispiel:
Es sei h > -1 und h 0 . Dann gilt
( 1 + h )n > 1 + n h | Bernoullische Ungleichung | |
---|---|---|
für alle natürlichen Zahlen n 2 . |
Die vorstehende Erörterung legt folgende Beweisstrategie nahe:
1. | Induktionsanfang | (auch Induktionsverankerung) |
---|---|---|
Die Aussage wird für eine 1. natürliche Zahl n0 (hier n0 = 2 ) bewiesen. | ||
2. | Schluss von n auf (n + 1) | (auch Vererbungsschritt genannt) |
Für alle natürlichen Zahlen n n0 wird bewiesen: Wenn die Aussage für n richtig ist, so auch für den Nachfolger n + 1 . |
||
Wenn 1. und 2. durchgeführt sind, ist die Aussage für alle n n0 richtig. |
Sn = | 1 1·2 | + | 1 2·3 | + | 1 3·4 | + · · · + | 1 n (n + 1) |
= | n n + 1 |
für alle n |
---|
S1 = | 1 1·2 |
= | 1 1 + 1 |
, was trivialerweise richtig ist. |
Zu beweisen ist: Wenn Sn = | n n + 1 |
, so Sn+1 = | n + 1 n + 2 |
( n ) |
Sn+1 = Sn + | 1 (n+1)(n+2) |
= | n n + 1 |
+ | 1 (n+1)(n+2) |
= | n(n + 2) + 1 (n+1)(n+2) |
= | n² + 2n + 1 (n+1)(n+2) |
= | (n + 1) 2 (n+1)(n+2) |
= | n + 1 n + 2 |
3. Beispiel
Für alle n 5 gilt 2n > n2 .
Beweis:
1. Induktionsanfang 25 = 32 > 52 = 25 ist richtig.
2. Schluss von n auf n + 1
2 > | (n + 1) n2 |
und erhalten - wie verlangt - 2n+1 > (n + 1)2, |
Nach diesen Beispielen können wir das Beweisverfahren der vollständigen Induktion abstrakt formulieren.
Das Axiom von der vollständigen Induktion | ||
sei Teilmenge von (Menge der natürlichen Zahlen) mit den folgenden zwei Eigenschaften: | ||
1. 2. |
1 Für alle n gelte: falls n , so auch (n + 1) . Dann ist = . |
Bermerkungen:
1. Keiner der beiden Beweisschritte ist überflüssig.
Z.B. liefert der Term n2 + n + 41 für alle n = 1; 2; 3; ...; 39 Primzahlen, nicht jedoch für n = 40 oder 41.
Andererseits ist der Schluss von n auf n + 1 richtig durchführbar, auch wenn der Induktionsanfang falsch ist. Wenn z.B. (2n - 1) eine gerade Zahl ist, so auch [2(n + 1) - 1] = (2n + 2 - 1) = (2n -1) + 2 .
2. Der Schluss von n auf n + 1 wird leicht und allzu häufig logisch falsch verstanden.
Der Einfachheit halber bezeichnen wir die zu beweisenden Aussagen mit An.
Der Schluss von n auf n + 1 hat dann zu beweisen:
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