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Eine neue Schule für alle
 

siehe auch:

Kurzbesuch der Futurum-Schule

Das verschwundene Klassenzimmer

 
Pädagogik- und Architekturkonzept
der alternativen Schule „Futurum“

In den Pisa-Sudien der letzten Jahre schnitten Schulen aus Skandinavien besonders gut ab. Eine der herausragendsten Schulen ist dabei die Schule Futurum. Diese Schule ist so komplett anders als die deutschen „Standardschulmodelle“, dass diese Schule von nahezu 1.000 Pädagogen aus Deutschland besucht und genauen Beobachtungen, Untersuchungen und Spionage unterworfen wurde. Die Gründe für die herausragenden Eigenschaften dieser Schule sind vielfältig.

Vielleicht liegt es gar nicht an der Schule, sondern an der Gemeinde, in der diese Schule steht. Die Schule Futurum liegt in Habo, in der Kommune Bålsta nördlich von Stockholm in Schweden. Bålsta ist eine Art Silicon Valley in Schweden. Es beherrschen Produktionsbetriebe nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern auch die Landschaft. Da man für die Produktion von Waren selten die selbe Infrastruktur braucht, welche auch von Familien bevorzugt wird, ergibt sich ein relativ großes Problem. Obwohl eine stattliche Anzahl an Arbeitsplätzen in Habo, und ganz Bålsta, zur Verfügung standen, wollten keine Familien in diese Gegend siedeln. Aus diesem Grund starteten die dortigen Verantwortlichen eine Art bålstaische Schulbauoffensive (vgl. Wiener Schulbauoffensive). Dies führte dazu, dass unter anderem ein typischer 70er Jahre Schulbau in den Jahren 1997-99 mit 7 Millionen Euro in eine neue lichtdurchflutete und offene Schule mit rund 12.000 m² umgebaut wurde. Dieser Umbau schaffte in Habo für mehr als 1000 Schüler im Alter von 6-16 Jahren einen Schulplatz.

Entgegen dem System in Österreich oder Deutschland ist jede Kommune selbst für seine Schulpolitik verantwortlich. Der Staat gibt lediglich Richtlinien vor, in denen sich die Schule selbst ein System aussucht oder, so wie in Futurum, ein neues Schulsystem erfindet und anwendet. Vielleicht liegt es aber doch an der Schule selbst, dass dermaßen viele Pädagogen von der Futurum-Schule angezogen werden.

Mit dem Umbau erlebte auch die Unterrichtsmethode eine Auffrischung. Wobei in diesem Zusammenhang Auffrischung sicherlich das falsche Wort ist. Vielmehr sollte man von einer unterrichtsmethodischen Revolution sprechen. Das System des Unterrichts funktioniert heterogen, d.h. die verschiedenen Altersgruppen werden gemeinsam in Kleingruppen betreut, nur die drei Hauptfächer Schwedisch, Englisch und Mathematik werden herkömmlich unterrichtet. In der restlichen Zeit werden verschiedene Themen in unterschiedlichen Gruppen ausgearbeitet und von der Gruppe selbst präsentiert. In der ganzen Schule existiert keine Glocke (außer zum Musizieren) und für den Feueralarm ist eine Sirene verantwortlich. Daher gibt es auch keinen fixen Stundenanzahlen, welche die Schüler erfüllen müssen. Lediglich ein persönliches „Logbuch“ regelt wer, wann, was, wie zu erarbeiten hat. In diesem weiten Spielraum bleiben Schüler auf sich gestellt und müssen sich ihre Zeiten alleine einteilen. Selbstverständlich werden sie aber von einem Lehrer begleitet.
futurum Architektur
Genauso wie das Schulgebäude sind auch die Schüler in 6 „kleine Schulen“ mit rund 160 Schülern unterteilt. Diese Einheiten werden von einem Team von 16 Lehrerinnen und Lehrern betreut. Jeder dieser Einheiten stehen cirka 1000m² zur Verfügung, wobei auch ohne Probleme für besondere Anlässe in andere Bereiche expandiert werden kann. Im Gegensatz zu sonstigen Schulsystemen verbringen die Lehrer ihre gesamte Arbeitszeit in der Schule, wodurch sie für die Schüler eine andauernde Ansprechperson sind, die mit ihnen einen „Schul-/Arbeitsplatz“ teilen.

Dieses System wird von einem Großteil der Schüler positiv bewertet. Ein kleiner Teil allerdings, ist mit der damit einhergehenden Selbstverantwortlichkeit Selbstbestimmung überfordert. Für diesen Teil der Schüler stehen spezielle Aufbaulehrer zur Verfügung, welche mit diesen Schülern einen intensiven Kontakt pflegen und somit gemeinsam Probleme aus dem Weg räumen.

Ein Aspekt für den Erfolg von Futurum, der vielen Pädagogen sicherlich nicht aufgefallen ist, könnte natürlich auch die Architektur sein, in welcher das Schulleben stattfindet.

Wie bereits gesagt, handelt es sich um einen Umbau einer Schule aus den 70er-Jahren. Zudem wurde ein Teil der Schule neu errichtet. Nach außen hin ist die L-förmige Schule eine „einfache“ Halle mit großen Glasflächen und Oberlichten. Das Schulgebäude gliedert sich allerdings im Inneren in 6 Bereiche (ebenso sind die Schüler aufgeteilt). Diese Bereiche sind farblich unterschiedlich gestaltet (rosa, gelb, grün, rot, blau, orange) und sind auch nach der verwendeten Farbe bezeichnet.

Im Unterschied zu „normalen“ Schulen gibt es keine Gänge, da nur ein großer Raum pro Einheit vorgesehen ist. Von diesem großen Raum sind einzelne Bereiche abgetrennt. In diesen Räumen werden nicht so gute Schüler in kleinen Gruppen unterrichtet, aber prinzipiell sind mehrere unterschiedliche Gruppen in einem großen Aufenthaltsraum versammelt und bearbeiten ihre Projekte.
futurum Architektur
Genauso wie die gesamte Schule sind auch diese abgetrennten Bereiche alle einsehbar. Auch sind die einzelnen Räume nicht versperrt, so dass jeder überall hingehen kann. Da die Schüler für ihre Gruppenarbeiten immer unterschiedlich große Räume, oder besser Plätze und Flächen, benötigen, wurde auf eine fixe Möblierung verzichtet. Stattdessen stehen den Schülern bewegliche Trennwände und Rollcontainer zur Verfügung um sich ihre Arbeitsplätze selbst zu gestalten.

Was macht nun aber diese Vorreiterstellung von Futurum aus? Ist es die Gemeinde? Der Lehrplan? Die Architektur? Alles zusammen? Oder ganz etwas anderes?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Sicherlich ist es eine Mischung aus allen Bereichen. Die Aspekte aus der Gemeinde sind sicherlich nicht zu übersehen. In der Futurum-Schule läuft alles sehr kollegial und freundschaftlich ab. Schweden ist eines der wenigen Länder in dem immer noch das vertraute „Du“ dem distanziertem „Sie“ vorgezogen wird. Interessanterweise ist das in allen skandinavischen Ländern genauso und deren Schulen belegen alle die vorderen Plätze des Pisa-Rankings. Auch das „Jedermannsrecht“ wird in Schweden, zwar eingeschränkt aber doch, noch praktiziert. Vielleicht ist das ein Grund warum in Futurum keine Zerstörung zu sehen ist. Alles gehört allen und man will es schließlich später auch wieder benutzen können. Ganz interessant ist, dass es in Futurum eine Hausschuhpflicht gibt. Jeder Schüler und auch jeder Lehrer (und auch Besucher) darf sich nur mit Hausschuhen in der Schule aufhalten. Dies fördert sicherlich das Gefühl zuhause zu sein, nicht immer auf dem Sprung zum Weggehen zu sein. Das ist ein wichtiger Faktor für den Wunsch der Schüler sich in der Schule aufzuhalten. Außerdem, wer schmiert oder zerstört schon seine eigene Wohnung?

Durch die Gruppenarbeit der unterschiedlich alten Schüler entsteht ein soziales Bewusstsein der Schüler untereinander. Die älteren helfen den jüngeren. Selbstverständlich könnte es dabei auch zu gröberen Streitereien kommen, von solchen ist allerdings nichts überliefert. Ein Grund dürfte sicherlich die doch vorhandene Abhängigkeit voneinander sein. Bei vielen Projekten muss zusammen gearbeitet werden und die älteren Schüler spezialisieren sich noch ein wenig mehr. Trotz der technischen Fortschrittes den Schweden besitzt, liegt der Verdacht nahe, dass diese Kollegialität seine Wurzeln in der Geschichte des Landes hat. In den skandinavischen Ländern ist noch nicht so lange her, dass noch das raue nordische Klima das Leben der Bewohner geleitet und beeinflusst hat. In einer derart unwirtlichen Gegend war es eine Pflicht jedes Bewohners sich auch um die Nachbarn, Verwandte, Kleinen oder Schwachen zu kümmern. So wie das Schülerleben in Futurum funktioniert, dürfte noch ein großer Rest dieser Notwendigkeit in den Kindern stecken.

Die Tatsache der braven, ruhigen Schüler, welche nichts zerstören und nur konzentriert an den Projekten arbeiten, könnte allerdings auch eine andere Ursachen haben. Wie bereits beschrieben gibt es im Schulgebäude so gut wie keine Wände. Alles ist einsehbar und kann von jedem eingesehen werden. Die Trennwände die von den Schülern selbst verschoben werden können, sind allerdings so hoch, dass es für die Schüler nahezu unmöglich ist, darüber hinwegsehen zu können. Im Gegensatz dazu ist es den Lehren im Allgemeinen schon möglich, über die Wände blicken zu können. In diesem Zusammenhang fällt einem sofort das Panoptikum von Bentham ein. Dort steht ein Turm in mitten von radial angeordneten Gefängniszellen. Es ist den Insassen unmöglich zu erkennen, ob ein Wächter sie beobachtet oder nicht. In Futurum ist dieses Konzept des allsehenden Blickes, unbewusst oder bewusst, verwendet worden. Die Schüler wissen nicht, ob der Lehrer gerade zufällig in ihre Richtung schaut oder sie sogar von hinter der nächsten Trennwand beobachtet. Es dürfte eine grobe Unterstellung sein, wenn man behauptet, dass die Errichter der Schule nach totaler Kontrolle planten. Es dürfte wohl ein angenehmer Nebeneffekt gewesen sein, der durch die offene Raumsituation entstanden ist. Vielmehr war der Wunsch nach einer transparenten und offenen Schule der Vater des Gedanken. Jeder kann zu einem Mitschüler gehen und Frage stellen.

Auch die gewünschte Interdisziplinität wird dadurch gefördert. Es steckt auch hier das offene System der schwedische Gesellschaft im Schulsystem. In Schweden werden zum Beispiel die Steuererklärungen für jedermann zugänglich gemacht. Das gleiche passiert in Futurum. Jeder Schüler weiß, was der andere macht. Er sieht, wie gut oder schlecht der andere ist. Auch hier könnte man die Umkehrung probieren und behaupten, dass dieses offene Verhältnis den Wettkampf zwischen den Schülern steigert. Schließlich will jeder der Beste, oder zumindest besser als die anderen, sein. Wenn nun ein Schüler mit einer neuen, besseren Art etwas zu präsentieren beginnt, werden sehr schnell auch die anderen Schüler diese Methode anwenden, um mit ihm gleichzuziehen. Wie gesagt, kann dies als gegenseitiges Anregen von Neuem gesehen werden; oder aber als Mittel, um die Schüler in einen Wettkampf zueinander zu stellen und das Niveau hochzuschrauben.

Die Umsetzung der Möglichkeiten der Abtrennung und neuen Raumbildung ist eigentlich sehr gut gelöst worden. Den Schülern stehen, wie schon beschrieben, Rollcontainer und mobile Trennwände zur Verfügung, ihre eigene Plätze zu gestalten. Das Witzige daran ist, je mehr sich die Schüler ihre eigenen Flächen schaffen und gestalten, desto mehr beeinflussen sie ihre Mitschüler und verändert sich die gesamte Schule. Dieser Aspekt erscheint uns aus zweierlei Hinsicht sehr wichtig. Zum einen erfahren die Kinder was es bedeutet Veränderungen in einem Gefüge vorzunehmen. Durch Veränderung im Kleinen wird auch das Große beeinflusst. Da immer die gleiche Fläche, die gleichen Fenster und auch immer die gleichen sonstigen Randbedingungen zur Verfügung stehen, müssen sich die Mitschüler miteinander arrangieren. Dadurch erlernen sie das soziale  Zusammenspiel und gegenseitige Rücksichtnahme bereits in jungen Jahren. Zum anderen, und hier spricht der Weltverbesserer, wird durch das eigene Gestalten der Nischen die Raumerfahrung gebildet und geschärft. Dies kann dazu führen, dass auch später die Anforderungen und Wünsche an Architektur höher sind und somit viel mehr „gute Architektur“ gefordert wird und Architektur im allgemeinen kritischer betrachtet wird.

Als Zusammenfassung kann man Folgendes feststellen:
Eine derartige Schule ist nur aus einer Mischung von verschiedenen Aspekten gestaltet und kann auch nur so verstanden werden. Ob eine Futurum-Schule in Österreich oder Deutschland funktioniert kann nicht gesagt werden, da die gesellschaftliche Grundlage extrem unterschiedlich ist. Selbstverständlich ist es allerdings möglich, einen Schulbau wie in Habo zu errichten. Ob dies allerdings auch den Gedanken und die Ideologie sowie den Erfolg bringt, ist abzuwarten.

Was man sicher sagen kann ist, dass ohne dieser Art von Architektur der Unterricht im Stile Futurums nicht funktionieren wird. Für ein solches Schulsystem ist es unumgänglich, den Schülern offene Räume zur Verfügung zustellen.

Es sieht so aus, als ob eine offene Schule auch einen offenen Geist prägt.

Quelle: http://www.a-theory.tuwien.ac.at/CONTENTS/ARCHIVE/ArchiveContents/currentissues/niemehrschule/abgaben/pdfs/Futurum.pdf

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