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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

6   Programm der Internationalen Wintersportwoche

Die folgende Tabelle liefert eine Übersicht der Wettbewerbe der Internationalen Wintersportwoche, die vom 25. Januar bis 5. Februar 1924 im französischen Wintersportort Chamonix veranstaltet wurde. Während die eigentlichen Wettkämpfe in der Zeit vom 26. Januar bis 4. Februar ausgetragen wurden, nutzte man den ersten und letzen Tag der insgesamt 12 Tage dauernden Wintersportwoche zu feierlichen Eröffnungs- bzw. Abschlußfeiern.

Tab. 6: Programm der Internationalen Wintersportwoche

VeranstaltungstagProgramm
 25. Januar 1924Eröffnungsfeier
 1. Wettkampftag26. Januar 1924Eisschnellauf
 2. Wettkampftag27. Januar 1924Eisschnellauf
 3. Wettkampftag28. Januar 1924Eiskunstlauf Eishockey Curling
 4. Wettkampftag29. Januar 1924Eiskunstlauf Militärpatrouille Eishockey Curling
 5. Wettkampftag30. Januar 1924Skilanglauf Eishockey Curling Eiskunstlauf
 6. Wettkampftag31. Januar 1924Eishockey Eiskunstlauf
 7. Wettkampftag1. Februar 1924Eishockey
 8. Wettkampftag2. Februar 1924Skilanglauf Nordische Kombination Bobsport Eishockey
 9. Wettkampftag3. Februar 1924Bobsport Eishockey
10. Wettkampftag4. Februar 1924Skisprung Nordische Kombination
 5. Februar 1924Abschlußfeier mit Bekanntgabe der Ergebnisse und Preisvergabe
Quelle: In Anlehnung an: COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 667.

Tab. 7:   Vertretende Nationen und ihre Verteilung auf die einzelnen Disziplinen

Nationen - Disziplinen

 
6.3   Wettkämpfe

"Il y eut trois grands sports à Chamonix: deux individuels: le patinage de vitesse et le ski; un d'équipe: le hockey sur glace. Les autres manifestations furent nettement des à-côtes [...]."

HANOT, G.: L'émouvant marathon de ski et les attrayants matches de hockey sur glace des Jeux d'hiver de Chamonix. In: Le Miroir des Sports 5 (1924) 188, S. 85.

" [...] le hockey est un sport magnifique, le patinage artistique et le curling ne sont que des jeux pour pieds agiles ou un divertissement d'homme rangé."

LES ÉPREUVES de patinage artistique, de hockey et de curling ont commencé hier à Chamonix. In: L'Auto 29.01.1924, S. 1.

Entgegen den Darstellungen in der heutigen Sportgeschichtsliteratur wurde im Jahre 1924 noch keine Differenzierung zwischen den eigentlichen Wettkämpfen und den Demonstrations- bzw. Vorführungswettbewerben vorgenommen. Weder der offizielle Berichtsband des Organisationskomitees, noch die Berichterstattung in den Zeitungen der damaligen Zeit treffen eine derartige Kategorisierung. Es bleibt also zu vermuten, daß der Begriff der Demonstrationswettbewerbe erst im Nachhinein entstanden ist.
Die 16 Wintersportwettbewerbe, die sich in 12 Einzelwettkämpfe und vier Mannschaftswettkämpfe unterteilten, wurden in der Zeit vom 26. Januar bis 4. Februar in den Sportarten Eishockey, Curling, Eislauf, Bobsport und nordischer Skisport ausgetragen.
Die geringe Frauenbeteiligung, 13 Frauen bei insgesamt 293 Aktiven, bei dieser Internationalen Wintersportwoche basierte auf der eingeschränkten Teilnahmemöglichkeit der Frauen. Sie durften lediglich in der Sportart Eiskunstlauf in den Konkurrenzen "Damen" und "Paarlauf" an den Start gehen.

6.3.1   Eisschnellauf

"L'institution du patinage de course constituera une des grosses attractions du prochain meeting, d'autant plus que le succès d'engagements enregistré dépasse toutes les espérances. Il promet de réunir, pour la première fois sur une piste, tous les meilleurs spécialistes du monde entier."

DRIGNY, E.-G.: Les épreuves de patinage sur glace des Jeux d'hiver à Chamonix opposeront pour la première fois les champions des deux mondes et présenteront un intérêt sans précédent dans l'histoire de ce sport. In: Le Miroir des Sports 5 (1924) 185, S. 44.

Wie man der Tabelle 6 entnehmen kann, umfaßte diese hervorragend besetzte Eisschnellaufkonkurrenz, die wie die anderen Eissportwettbewerbe auch im Eisstadion stattfand, insgesamt vier verschiedene Distanzen, die sich über 500 m, 1.500 m, 5.000 m bzw. 10.000 m erstreckten. Es handelte sich hier zwar nur um vier Wettbewerbe, aber trotzdem wurden insgesamt fünf Sieger festgestellt. Grund hierfür war der als Mehr- oder Vierkampf titulierte Wettkampf, für den jedoch keine zusätzlichen Wettbewerbe stattfanden. Die Wertung bzw. Reihenfolge des Mehrkampfes ergab sich durch die Plazierungen der Läufer auf den einzelnen Strecken. Sieger wurde der Athlet mit der niedrigsten Platzziffer. Da sich nicht alle Teilnehmer auf den Einzelstrecken auch gleichzeitig für den Mehrkampf gemeldet hatten, wurden deren Ränge demzufolge bei der Ermittlung der Mehrkampfreihenfolge eliminiert. Während der Mehrkampf bei Weltmeisterschaften üblich ist, ging er in die Geschichte der Olympischen Winterspiele als ein einmalig stattfindendes Ereignis ein, da hier die olympischen Konkurrenzen lediglich als Einzelwettbewerbe ausgeschrieben sind.
Bei allen vier Wettbewerben traten jeweils zwei Ahtleten auf der 400 m langen Rundbahn gegeneinander an. Gemäß Reglementierung durften pro teilnehmende Nation maximal vier Athleten an den Start gehen.

Tab. 8:   Sieger 500-m-Strecke
1.Jewtraw, E.-U.USA44,0 sec.
2.Olsen, O.NOR44,2 sec.
3.Thunberg,
C.Larsen, R.-M.
FIN
NOR
44,8 sec.
44,8 sec.
 
Tab. 9:   Sieger 1.500-m-Strecke
1.Thunberg, C.FIN2:20,8 min.
2.Larsen, R.-M.NOR2:22,0 min.
3.Moen, S.-O.NOR2:25,6 min.
 
Tab. 10:   Sieger 5.000-m-Strecke
1.Thunberg, C.FIN8:39,0 min.
2.Skutnabb, J.FIN8:48,4 min.
3.Larsen, R.-M.NOR8:50,2 min.
 
Tab. 11:   Sieger 10.000-m-Strecke
1.Skutnabb, J.FIN18:04,8 min.
2.Thunberg, C.FIN18:07,8 min.
3.Larsen, R.-M.NOR18:12,2 min.
 
Tab. 12:   Sieger Eisschnellauf-Vierkampf
    500 1.500 5.00010.000
1.Thunberg, C.FIN3.1.1.2.
2.Larsen, R.-M.NOR3.2.3.3.
3.Skutnabb, J.FIN4.4.2.1.

Die vier Wettbewerbe beim Eisschnellauf fanden am 26. und 27. Januar bei ausgezeichnetem Wetter statt.

"Le temps continue à être magnifique. Cette nuit, le thermomètre est descendu à plus de 10 dégrés au-dessous de zéro, ce qui a permis d'avoir ce matin une glace parfaite."

LES JEUX DE CHAMONIX. La Finlande victorieuse dans les épreuves de patinage. In: L'Auto 28.01.1924, S. 1.

Trotz der guten Wetterlage waren die Wettkampfbedingungen nicht für alle Athleten gleich.

"Die Bahn zeigt Frostsprünge, ist zerfahren und leicht körnig. Trotz Startwiederholung kommen die Läufer, wieder jeweils zu zweit, ungleich vom Start. Die zuletzt gezogenen Nummern finden wesentlich schlechtere Laufverhältnisse vor."

WENDLANDT, G./MEINHOLD, P.: Triumph der Olympischen Winterspiele. Chamonix bis Squaw Valley 1924-1960. München 1960, S. 12.

Zu bedauern war weiterhin, daß die Zuschauerränge nur zeitweilig gut besetzt waren.

"Il est seulement regrettable que, pour assister à ce spectacle unique, la foule des spectateurs ne soit pas plus nombreuse à acclamer les performances des merveilleux champions."

LES JEUX DE CHAMONIX. La Finlande victorieuse dans les épreuves de patinage. In: L'Auto 28.01.1924, S. 1.

Was die Zuschauerzahlen bei den Eisschnellaufwettbewerben betrifft, so reichten diese nicht an die Zuschauerzahlen der Eröffnungsfeier heran.

Tab. 13: Übersicht über die Besucherzahlen der Eisschnellaufwettbewerbe

VeranstaltungstagAnzahl der Zuschauer
26. Januar 1924Vormittag1.316
26. Januar 1924Nachmittag1.456
27. Januar 1924Vormittag1.342
27. Januar 1924Nachmittag1.589
Quelle: In Anlehung an: COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 665.

Begünstigt waren bei diesen Wettbewerben vor allem die Länder, in denen die Athleten die Möglichkeiten hatten, diesen Sport über mehrere Monate im Jahr auszuüben. Zu diesen zählen neben den skandinavischen Ländern wie Norwegen, Schweden und Finnland auch solche wie Kanada und die USA.

"Les quatre courses de patinage, 500, 1.500, 5.000 et 10.000 mètres, démontrèrent la supériorité évidente des Scandinaves, dont les patineurs sont nettement d'une classe au-dessus des Américains. Seul, le 500 mètres échappa aux hommes du Nord."

GLARNER, A.: L'ouverture des Jeux d'hiver de Chamonix. In: Le Miroir des Sports 5 (1924) 187, S. 75.

 
6.3.1.1   Herausragender Athlet - Clas Thunberg

"Le vrai et grand athlète de cette première partie des sports d'hiver fut, sans contredit, le Finlandais Thunberg. Bien bâti, souple, Thunberg, clerc de notaire à Helsingfors, a pratiqué un grand nombre de sports, notamment le football, la natation, la course à pied, le yachting à voile. Toutes les distances lui sont bonnes."

GLARNER, A.: L'ouverture des Jeux d'hiver de Chamonix. In: Le Miroir des Sports 5 (1924) 187, S. 75.

Skutnabb & Thunberg
Abb. 19:   Skutnabb & Thunberg

Quelle: http://www.aafla.com
/OlympicInformationCenter/Early Winter

Begannen die Eisschnellaufwettbewerbe auf der 500-m-Strecke zunächst mit einer Niederlage der Skandinavier gegen die USA, so konnten sich jene aber in den übrigen Wettbewerben durchsetzen. Herausragender Eisschnelläufer war der 31-jährige Finne Clas Thunberg. Er gewann in jedem der fünf Wettbewerbe eine Medaille.
Neben den Siegen über 1.500 und 5.000 Meter gewann er den Vierkampf, holte Silber über 10.000 Meter und gewann im 500-m-Rennen die Bronzemedaille. Hiermit avancierte der finnische Volksheld, der in seiner 22-jährigen Sportlerkarriere auch fünffacher Weltmeister im Vierkampf wurde, zum erfolgreichsten Teilnehmer der Wintersportwoche von Chamonix. Auch bei den II. Olympischen Winterspielen in St. Moritz konnte sich Thunberg zweimal in die Siegerlisten eintragen. An den Olympischen Spielen im Winter 1932 in Lake Placid (USA) nahm er nicht teil, da die europäischen Eisschnelläufer wegen des durchgeführten Massenstarts die Wettbewerbe boykottierten.
 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003