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Die Deutsche Turnbewegung und ihr Traditionsverständnis
von Hansgeorg Kling

Es ist ein weites Feld, um das es sich hier handelt, schwer in einen Rahmen zu bekommen, und es ist recht schwierig, klare und einigermaßen haltbare Aussagen zu dem Gegenstand zu machen. Dazu ist mir bewusst, dass ich mich teilweise auf einem Feld bewege, auf dem Sie sich gut auskennen. Mehrere von Ihnen sind im Laufe Ihres Studiums mit Jahn intensiver befasst gewesen als ich, und ich weiß auch, dass mehrere von Ihnen auch das Deutsche Turnfest, ein markantes Ereignis im regelmäßigen Rhythmus, kennen.

Ich bin ausgegangen von der Formulierung in der Einladung: überlieferte Einstellungen und Werthaltungen; ich habe also versucht, in die Geschichte zurückzublicken. Wo ist der Ausgangspunkt, welche Fixpunkte hat man? Und verständlicherweise war Jahn nicht zu übergehen, nicht zu umgehen. Bei meinen Vorbereitungen war wiederum das Erstaunliche, wie auch bei früherer Beschäftigung mit Jahn, wie modern er eigentlich auch vom heutigen Sprachgefühl aus sagt, was er meint, was ihm als Programm vorschwebt, was sich als überlieferungswürdig letztlich ausweist. Nach unserem Sprachgebrauch handelt es sich bei dem Fußen auf Jahn um das Fachliche zum einen und das Überfachliche zum anderen. Die Formulierung, auf die man zurückgreift, wenn man den Ursprung finden will, ist für das Fachliche wohl die "Turnkunst" in erster Linie, für das Überfachliche das "Volkstum", Titel zweier Bücher von Jahn. Ich habe folgende Begründung für das Turnen herausgeschrieben: "solange der Mensch noch hienieden einen Laib hat und zu seinem irdischen Dasein auch ein laibliches Leben bedarf und ohne Kraft und Stärke, ohne Dauerbarkeit und Nachhaltigkeit, ohne Gewandtheit und Anstelligkeit zu richtigen Schatten versiecht, solange wird die Turnkunst einen Hauptteil der menschlichen Volksbildung einnehmen müssen." Und für das Überfachliche das berühmte Zitat von Jahn: "Die Turnkunst soll die verlorengegangene Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wiederherstellen, der bloß einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen, der Überverfeinerung der wiedergewonnenen Männlichkeit das notwendige Gegengewicht geben." Die Bedeutung des Überfachlichen im Wesentlichen muss hier wohl bei dieser Themenformulierung im Vordergrund stehen. Wir haben sie selbstverständlich ebenso wie die fachliche Begründung, fußend auf Jahn, in der derzeitigen Satzung: "Grundlage seines Wirkens (des Deutschen Turnerbundes) ist das von Jahn begründete und geschichtlich gewachsene Turnen."

Für das Überfachliche ist interessant, dass in der Satzung von 1978 ausdrücklich noch gefordert wurde, die Kultur des eigenen Volkes zu fördern, ein Satz, der heute nicht mehr darin steht. In diesem Zusammenhang sei der Hinweis erlaubt, dass es um die Stellung und Bedeutung dieses ganzen Überfachlichen oder Kulturellen immer wieder Diskussionen gegeben hat, dass es sich dabei um Kultur handelt und dass sie auch so bezeichnet wird, turnerische Kultur oder Turnkultur, war zu allen Zeiten unumstritten. Die Ansichten von dieser Kultur aber und ihre Einstufung und Bewertung, ob etwa als Geistesübungsangebot gleichwertig dem Leibesübungsangebot, änderten sich im Laufe der Zeit. Man sprach auch noch nach dem Kriege vom volkspolitischen Auftrag. Mit Jürgen Palm als Bundeskulturwart kam dann die Hinwendung zur modernen Kunst, zur Kultur also als etwas sehr Unruhigem, sehr Kritischem und sehr Prononciertem. Immer aber wieder ist betont worden, dass Turnen in diesem Sinne, also Turnen im Sinne nicht nur der Bewegung auf dem Boden oder an den Geräten, erzieherische Bedeutung habe, pädagogische Werte verfolge und den Menschen zum Dienenden machen wolle. Einer der Hinweise, die ich von Hermann Breder bekam, war der auf die Turnfeuerwehr und auch auf Vorstufen des jetzigen Roten Kreuzes, die in Händen der Turner lagen. Zumindest offiziell wird das immer wieder in allen Festschriften betont.

Das Fachliche möchte ich nur streifen, es ist ja hier durch einige Beiträge schon angesprochen worden. Ich wollte nur noch einmal auf die beiden Eckpfeiler hingewiesen haben, durch die wir das markiert sehen: durch Jahn die ganze Palette der Leibesübungen einerseits, vom Laufen über Heben und Ringen bis hin zu dem Vielkampf, wie er ihn nannte. Der andere Eckpfeiler: Das, was die Satzung von 1982, in diese Richtung zielend in ihrem § 1 formuliert: im Bereich des vielseitigen Turnens stehen alle möglichen Formen von Bewegung sowohl in festgelegten Normen als auch in ständig veränderbaren Verbindungen im Mittelpunkt. Die Freude an der Bewegung und der Körperbeherrschung sind bestimmend für die Inhalte der Übungsangebote, der Wettkampf dient hier zur Bestimmung der eigenen Leistungsfähigkeit, aber auch als Maßstab zum Vergleich mit anderen. Überwiegend wird im vielseitigen Turnen der Übungszweck mit der Übungseinheit selbst erreicht. Vielseitiges Turnen ist somit Breiten- und Freizeitsport, im Kleinkinder- und Kinderturnen, im Jugendturnen, im Frauen- und Männerturnen und im Seniorenturnen. Über die altersspezifische Aufgabenstellung hinaus wird übergreifend das Familienturnen angeboten." Sie können das immer wieder in der Wirklichkeit des Vereinsbetriebes überprüfen, in den Turnvereinen und in der verhältnismäßig stark aufgeteilten Turnabteilung, in gemischten Vereinen oder Mehrsportarten-Vereinen. Und sie haben es selbst, wie mehrfach hier angedeutet wurde, bei ihren Beobachtungen beim Deutschen Turnfest überprüfen können. Ich will nicht auf den Mehrkampf bzw. auf die Bedeutung des Mehrkampfes eingehen, nicht eingehend dezidiert auf die Bedeutung des Mannschaftskampfes und auch nicht auf Wandlungen dieser Wettkampfformen, möchte allerdings betonen, dass sich der Vielseitigkeitswettkampf in Gestalt des Turnfestwettkampfes bis heute als ein ungeheuer komplexes Gebilde erhalten hat. Ich möchte andeuten, dass sich urige Formen im traditionsbewussten Österreichischen Turnerbunde (ÖTB) erhalten haben, wo ich gerade vor kurzem einen deutschen Fünfkampf erlebte, der darin gipfelte, dass die beiden besten vorsortiert in vier vorangegangenen Wettkämpfen, zum Schluss miteinander rangen.

Zu diesem weiten Feld des Überfachlichen unternahm ich einen Versuch der Gliederung in fünf Punkten, den ich zur Vorlage gebracht habe. Sie finden vorangestellt das Gesellige und Gemeinschaftsbildende, ich betone auch an dieser Stelle, selbstverständlich über die Generationen hinaus, selbstverständlich erlebbar im Verein, selbstverständlich fixiert in der Satzung, ebenfalls in § 1, wo es heißt: "Über die fachlichen Aufgaben hinaus gehören zum Turnen als überfachliche Aufgabe musische, gemeinschaftsbildende und gesellige Aktivitäten". Ich finde es immer wieder reizvoll zu lesen, wie Jahn dies dargestellt hat, wie er es für wichtig gehalten hat und möchte daraus zitieren, aus dem "Deutschen Volkstum", 1808 erschienen: Festlichkeit ist Erleben über das gemeine Leben, Herauskommen aus der Alltäglichkeit, Entfesselung des Geistes von leiblichen Unterdrückungen und Abspannung des Körpers von der Fronarbeit, Befreiung des Herzens von Daseinssorgen, Versuch, die Daseinsbürden abzulasten, überhaupt ein Erholungsleben, wo der Mensch doch einmal der Gegenwart froh wird ohne ängstliches Horchen und Zählen der Uhr ..." Dann eine interessante Formulierung:

"Frei steht der Mensch dann als Wesen, das auf Freude ein öffentliches und unveräußerliches Recht hat."
Und am Ende dieses Absatzes:
"Adel - der Vorzug für den Menschen von Geist und Herzen, Feste zu feiern."

Ausblick von daher auf eine Zeit etwa 170 Jahre später: das Deutsche Turnfest, dazu die äußerungen von Carstens, Kohl und Weyer, die sie ja nachlesen können, und unser Hinweis darauf, dass wir natürlich ein wenig Stolz sind auf die Anerkennung, die wir von hoher staatlicher Seite bekommen haben. Was hier von Jahn gesagt wurde, wird auch in der Nachkriegszeit mit Äußerungen belegt, wie dieser hier von Walter Bulleck: "Die Stunden, die bei turnerischen Ereignissen, Treffen, Wettkämpfen, Meisterschaften, Festen der Besinnlichkeit gewidmet sind, wo die Seele des Turners angesprochen wird. Festabende, Kundgebungen, Feierstunden, Fahnenweihen und Siegerfeiern sind keine nebensächlichen Anlässe, keine Ereignisse am Rande, sondern ebenso wichtig wie die Hauptveranstaltung selbst." Wenn wir dabei einiges aussparen, wie etwa die Fahnenweihe, dann können wir das übernehmen für die Gegenwart. Das Ganze ist aber nicht nur übertragbar auf die Bundes- oder Landesturnverbandsebene, sondern auf den Verein, wo wir uns vom Bundeskulturausschuss her darum bemühen, ein wenig unterscheiden zu wollen zwischen dem Fest, das stärker auf Freude und Begeisterung und Ausgelassensein abzielt, und der Feier zum anderen, die eher bestimmt ist zur Besinnung und Erbauung, zum Anregen der Phantasie. Im Verein und im Gau konkretisiert sich für uns diese Aufgabe bis hin zu handfesten Handreichungen. Wir haben da zwei Büchlein auf dem Markt: "Wie begehen wir Feste und Feiern?" erschienen 1952, da wird alles zusammengetragen, was alles im Laufe des Jahres gefeiert wird, von der Fahnenweihe bis zu Stiftungsfesten. Hier wird Material gesammelt bis hin zu Sprüchen und Abdrucken von Festreden. Und dann der Versuch, an dem ich beteiligt war: "Fest und Feier im Verein" ein kleines Handbüchlein, wo wir versucht haben, auf die jetzigen Bedürfnisse der Vereine einzugehen und besonders die Gestaltung von Vereinsjubiläen darzustellen. Jahreszeitenfeste, Ehrungen, bis hin zu literarischen Veranstaltungen und organisatorische Hilfen für den internationalen Austausch von Jugendgruppen, wie sie etwa die Turnerjugend so erfreulicherweise pflegt. Das ganze ist eine im Lauf der Zeit gewachsene wichtige Angelegenheit, besonders auf dem Land, wo die Turnvereine mit diesem Programm eben doch sehr stark das kulturelle Leben des Dorfes oder der Kleinstadt geprägt haben und teilweise immer noch prägen. Diesen Punkten: Geselliges und Gemeinschaftsbildendes sind zuzuordnen die Turnfahrten, die Wanderungen, die vaterländischen Wanderungen, wie Jahn sagt, ungeheuer wichtig, damit man weiß, was das sei, das Vaterland, und ungeheuer wichtig unter erzieherischen oder bildenden Gesichtspunkten. Ich fand das köstlich, was er da aufgestöbert hat. Im Zusammenhang mit dem Grundsatz, dass sich der junge Mensch Wind um die Nase wehen lassen soll, steht der Hinweis, dass im Isländischen das Wort für dumm und für ungereist dasselbe ist. Derjenige nämlich, der zu Hause bleibt, bleibt der Dumme. Jetzt ist das Wandern ein Fachgebiet wie andere, wie das Skilaufen und wie das Fechten, bezeichnet als Freizeit- und Breitensportfachgebiet und selbstverständlich im Wesentlichen der Kommunikation dienend, nur teilweise zu Demonstrationen in der Öffentlichkeit, etwa für Naturverbundenheit geeignet. In keinem der Bereiche. in denen sich der DTB auf diesem Gebiet engagiert, setzt er sich allerdings etwa mit dem Umweltschutz auseinander, man kann das bedauern.

Zweitens: Das Musische. Hier zuerst die Bedeutung der Sprache. Jahn hat sich da konkret und heftig ausgelassen im Vorbericht zur "Deutschen Turnkunst". Unser Turnfreund Behl in Wien steuert des öfteren zur Diskussion um den Fremdwortgebrauch bei, auch in den amtlichen Organen findet dann und wann der Versuch statt, etwas zurückzuschrauben auf diesem Sektor. Keine Rücksicht nimmt der DTB letztlich auf dieses Gebiet, wenn es gilt, in der Öffentlichkeit gut dazustehen, die Öffentlichkeit für das Deutsche Turnfest zu gewinnen. Das Lied, von Jahn nur nebenbei erwähnt, wurde ein wichtiges Element dessen, was auf dem Turnfest stattfand, das Turnfest als Gesellschafts- und Unterhaltungsplatz. Ich bin in der ersten Deutschen Turnzeitung, die mir zugänglich war, nämlich der von 1861, auf eine bitterböse Klage über die Urkunde patriotischer Lieder und auf den Hinweis gestoßen: "Ein Turnfest ohne Lieder, Turnfest und Turnfahrt ohne Sang, ist wie ein Gottesdienst ohne solchen. Durch ihn bekundet und bekennt sich erst die Gemeinde, laut und kräftig erschallt deshalb der fröhliche, aber auch tiefernste Turngesang." Da haben wir von der Tradition nicht viel gelten lassen. Es gibt ein neues Turnliederbuch, das das ganze traditionelle Liedergut enthält, es stammt aus dem Jahre 1967. Davor hat es den Bernett gegeben, erschienen 1952, wir sind sozusagen am Drücker und haben es tatsächlich geschafft, zwei neue Lieder in das Liedgut aufzunehmen, zwei neue Lieder, die aus einem Wettbewerb beim Turnfest 1973 als die besten hervorgegangen waren und die sich als brauchbar, singbar, als Reißer erwiesen haben. Das, was ich hier habe, ist eine kleine Fibel mit 17 ausgewählten Liedern, die jeder Turnfestteilnehmer beim Turnfest in Frankfurt bekommen hat. Und ich möchte die Bedeutung des Singens mit dem Hinweis darauf untermauern, dass es eben bei diesem Turnfest in der Alten Oper einen Liederabend mit 2 000 Teilnehmern gab, die sich Vorträge, unter anderem von Gesangabteilungen von Turnvereinen, die es leider nur noch ganz vereinzelt gibt, anhörten.

Zum Musischen muss man das Spiel im Sinne des Nichtturnspiels rechnen. Ich bin da mit der Literatur nicht ganz gut zu Rande gekommen, habe bei Jahn gefunden, dass er das nur am Rande einstuft, wenn er im "Volkstum" vom volkstümlichen Schauspiel spricht. Als Laienspiel ist es wohl weitgehend in unseren Vereinen eingeschlafen, als Bewegungs- oder Rollen- oder Stegreifspiel ist es von relativ großer Bedeutung, zumindest nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen in der allgemeinen Jugendarbeit. Als Tanzspiel allerdings, das ist meine, Erfahrung, ist es geradezu eine Kostbarkeit; das, was Grauholz auf die Beine stellt, ist eigentlich eine tolle Leistung, wenn er etwa eine spielerische Handlung in Tanzen umsetzen lässt, in Bewegungen auf der Bühne, bei der es um die Bewältigung von Geschichte geht, auch um die Bewältigung unserer heutigen Umwelt. Es gibt aber nur noch ganz wenige Tanzabteilungen bei uns, und diese Turnvereine sind eigentlich keine klassischen Turnvereine. Das Musik- und Spielmannswesen wiederum ist bei uns eine eigene Sparte geblieben, ein eigenes Fachgebiet im DTB. Der Bundesfachwart will nicht dem kulturellen Bereich zugeordnet sein, sondern mit dem Oberturnwart zu tun haben.

Es gibt eine einzige Klammer zwischen dem fachlichen und dem überfachlichen Bereich in Gestalt des Turnerjugendmannschaftskampfes. Offiziell heißt das Turnerjugendgruppenwettstreit, und bei den Meisterschaften heißt das Turnerjugendgruppenmeisterschaft; da wählt man aus 10 Bereichen, darunter drei musischen mit Pflichtbereichen, vier Übungen aus und absolviert einen Mannschaftskampf. Beim Deutschen Turnfest in Frankfurt traten 215 Mannschaften an.

Ich hatte geglaubt, dass der dritte Bereich, das Visuelle, für mich hier der Schwerpunkt sein müsse, hatte aber auch da leichte Schwierigkeiten mit der Literatur. Hatte ich doch gedacht, dass ich eine kulturgeschichtliche Darstellung "Das Symbol im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung" oder "im Verlauf der menschlichen Kultur" oder so etwas ähnliches finden könnte; aber so etwas gibt es nicht. Es gibt Darstellungen über das Symbol in der Kunst, in der Literatur, in der Musik. Das einzige, was für mich einigermaßen griffig war, war eine Darstellung politischer Art, ein Lexikon politischer Symbole. Da gibt es ein paar Anhaltspunkte in der Einleitung. Ich habe also unterschieden: Urkunden und Auszeichnungen zum einen, das ist der Bereich, den wir hier bereits gestreift haben, der wohl im Zusammenhang steht mit einem Industriezweig von Pokalen und Plaketten bis hin zu Tischstandarten und Wandtellern. Damit im Zusammenhang stehen die hohen und berechtigten Ehrungen, wir haben das bereits erwähnt, mit ihrem feierlichen Zeremoniell und vielen Lügen in den Würdigungen der zu Ehrenden. In dem Zusammenhang ist wohl das Sammeln solcher Trophäen zu sehen. Klaus Ehrmann hat in seinem Buch "Der Verein" (1967), das Sammeln von Trophäen als Maß für die Zahl von Freundschaften bezeichnet, und im Falle von Wimpeln und Fahnen als Hinweis auf die Zahl der Besucher. Viel Originalität können wir in der letzten Zeit bei der Wahl von Siegerpokalen und Auszeichnungen registrieren, gerade auch bei Turnfesten. Da gab es in Berlin 1968 eine Porzellanplakette, das war ein ganzer Apparat. Ich halte nur das Kennzeichen des Frankfurter Turnfestes hoch und zeige Ihnen vielleicht einmal, wie sich so etwas entwickelt: was dieses nun auf allen Urkunden des DTB zu findende Emblem betrifft, das wir vom Deutschen Turnfest 1973 geerbt haben, eine verhältnismäßig schlichte Form. Das Ganze ist nicht nur auf DTB-Ebene, sondern auch durch Gau-Wettbewerbe zehntausendfach verbreitet.

Zu Symbolen im engeren Sinne habe ich einen Hinweis gefunden, der mir nicht gegenwärtig war: Das stammt von einem merkwürdigein Brauch her, dass man einen Gegenstand auseinanderbrach, so dass man zwei Hälften hatte und mit der anderen Hälfte dann zu einem Gastfreund wiederkam und dies dann wiedererkennt. Das ist wohl die ursprünglichste Stufe. Die übertragene Bedeutung ist Ihnen geläufig: Dinge und Zeichen, die etwas Geistiges vergegenwärtigen, oder einfacher ausgedrückt, die für etwas anderes stehen. Das ist belegt und überliefert aus der Zeit vor der Entwicklung der artikulierten Sprache und hat wohl große Bedeutung gehabt in Zeiten, als die Menschen noch keine Schrift hatten. Heute wird es ausgegeben als Bindemittel für Gemeinschaften, z.B. für die großen Religionen, für schnelle Kurzinformationen, als Ergänzung verbaler Kommunikation, insbesondere in Werbung und Propaganda.

Und dann ist für uns der Hinweis besonders wichtig: die Appellwirkung von Symbolen, insbesondere bei plakatierter Gestaltung, in allen Bewegungen, vor allem politischen Bewegungen, etwa der faschistischen, und die gilt auch in der Turnbewegung. Es gibt Abwehrversuche, die ein bisschen kläglich aussehen, wenn es in der erwähnten Turnzeitung von 1861 etwa heißt: "Es mehren sich die Klagen über die Sucht einzelner Turnvereine nach äußerlichkeiten aller Art, die Besorgnis, dass der äußere Zeichenkultus, der so oft das Wesen der Religion ertötet, auch das wahre turnerische Streben überwuchert und hier und da zu ersticken droht." Und dann etwas weiter: "Dem Turner tut gut, ein strenger, herber, puritanischer Zug, weicher alle äußerlichkeiten, die das Auge bestechen, den Sinn aber leer lassen, verwirft - nein, der Turner trägt seine leinerne Jacke und Hose auf Turnplatz und Turnfahrt zunächst als zweckmäßige und bequeme Übungstracht, dann aber als schlichtes Erkennungszeichen." Wir können das nicht wegwischen, es hat seine Bedeutung. Wir haben das Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei, wir haben teilweise noch - das sollten wir vielleicht diskutieren - den Gruß "Gut Heil". Wir müssten eigentlich darüber sprechen, wer ihn noch benutzt und warum. Wir haben die verschiedenen Erkennungszeichen, nicht nur die 4 F, sondern das DT der Deutschen Turnerschaft und das jetzige Kürzel DTB. Wir haben das Lied "Turner, auf zum Streit". Wir haben die Turnfesthymne, wir haben die verschiedenartigen Anstecknadeln und Aufkleber, wir haben die Farbe Weiß, die 4 F sind immer rot, nicht etwa blau, grün oder gelb. Wir haben auch teilweise Exotisches, wie Turnerbänder als Trophäen.

Dann der ganze Komplex der Fahnen: Die Fahne als ein gegenständliches Symbol, so habe ich mich belehren lassen in der Literatur, steht im Gegensatz zur Flagge, die nur ein Tuch sei, mit Zeichen und Farbsymbolen und auswechselbaren Motiven. Und es gibt so etwas wie, DTB-Wappen, zumindest das DTB-Banner. Die Fahne wird teilweise abgewertet und verspottet, man kann Abstand nehmen von ihr, sie ist andererseits allerdings - das Stichwort emotional fiel in diesem. Zusammenhang gestern schon - der Punkt, um den man sich schart, wenn es einen Festzug gibt. Die Fahnen sind stolz durch diese Großstadt geführt worden. Der Fahne haftet der Vorwurf der leichtfertigen Liaison mit dem Politischen an. Damit werden wir leben müssen, wenn wir sie nicht abschaffen. Die ältesten Fahnen gab es bei der "Hamburger Turnerschaft" 1845. Über die ablehnende Bewertung von Fahnenweihen haben wir bereits geredet. Das ebenfalls erwähnte DTB-Banner gibt es ausgestellt, ausgehängt ständig in der Zentrale in Frankfurt hinter Glas, aber - makaber genug - an der Tür steckt der Schlüssel.

Dass wir uns heute zu Jahn bekennen und dass wir auf der Turngeschichte fußen, das kann man einfach nicht wegschieben, es geht wahrscheinlich gar nicht ohne Jahn. Die vielen Versuche, sich innerlich von ihm zu lösen, sind zweifellos gescheitert. Die Bedeutung des Historischen möchte ich hier ganz knapp nur belegen mit dem Hinweis darauf, dass im Grundsatzprogramm des DTB von 1976 gleich am Anfang der Abschnitt kommt: "Aus der Turngeschichte". Vor allem anderen möchte ich unser Bemühen um die Bewältigung Jahns belegen, unsere Bemühungen um ein neues Jahnbild durch die Referenten Diwald und Eichberg beim Deutschen Turnfest 1978 in Hannover, unser eigenes Jahn-Seminar 1979, das letzte Forum hatte in Frankfurt das Motto "Wandel der Deutschen Turnfeste", vier Foren gab es da, darunter eines mit besagtem Thema, drei Ausstellungen in Frankfurt: "1848/49" ist von Gerd Steins erarbeitet worden, daneben fanden zwei Ausstellungen "Deutsche Turnfeste seit 1860" und über den Arbeitersport in Deutschland statt. Jährlich gibt es eine Chronik im Jahrbuch des DTB, unser Dr. Göhler ergänzt jeweils seine Zusammenstellung um 20 oder 25 Jahre, zuletzt 30 Jahre DTB. Mit einer Bibliothek und einem Archiv stehen wir nicht alleine da, wie wir gehört haben, auch die Schützen machen so etwas, sammeln Material, um die Dinge festzuhalten. Insgesamt liegt uns daran, auf allen Ebenen die Bedeutung des Historischen bewusst zu machen, indem wir auffordern und Mut machen, Material zu sammeln und zu erhalten. In der allerletzten "Rheinischen Turnzeitung" findet man solch einen Versuch, in dem der älteste Rheinlandturner aus seinem Leben, aus seiner Jugend plaudert. Es ist eigentlich kennzeichnend, gerade vor Weihnachten, dass auf der letzten Seite dieses Heftes ein Rilke-Gedicht über die Herbstzeit erschien. Wir machen Mut, Archive anzulegen, inzwischen ist das wohl bei der Mehrzahl der Landesturnverbände gelungen, soweit wir das wissen; und wir machen Mut, Festschriften zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Das Gesellschaftspolitische sei hier nur der Vollständigkeit halber genannt, und zwar deswegen, weil wir meinten, dass im Aufgabenbereich des Kulturwartes, der diese Dinge im Wesentlichen verfolgt und wahrnimmt, dieses nicht ausgespart sein darf, dass alsonicht nur rückgewandt sein darf, wer sich mit diesem weiten Feld beschäftigt. Ich erwähne nur, dass wir dies ernst nehmen, nicht nur verbandspolitisch, indem wir als Verband von fast 4 Millionen Mitgliedern mit mehr als 12 000 Vereinen direkt gesellschaftspolitisch zu wirken versuchen, direkt uns an die Kirchen, Parteien, Verbände wenden. Ich erwähne die Bedeutsamkeit dieses Bereiches auch im Zusammenhang mit unserer Version von Organisationsleiterausbildung. Wichtig ist auch unser Bemühen um Kontakte zum deutschen Turnen im Ausland, um internationale Kontakte überhaupt, wiederum in erster Linie betrieben durch die Deutsche Turnerjugend.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003