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Denken, Lernen, Selbstlernen
 

  Denken, Lernen, Selbstlernen

Ranschburg-Phänomen

Ich habe mir überlegt, wie ich Ihnen das Ranschburg-Phänomen wieder ins Gedächtnis rufen könnte und als mir gestern der Herr Hübner begegnete, ehm, der Herr Huber, oder war's doch der Herr Hübner??? . . .

Geht es Ihnen auch so?
Oder haben Sie Ihre Schwierigkeiten eher mit den Mitgliedern einer Familie? Nennen Sie den Jungen Robert, weil so sein Vater hieß (den Sie auch schon unterrichtet hatten)? Dann sind auch Sie Opfer dieses Phänomens.

Jeder, der jetzt weiß,
worüber ich schreibe,
darf das Blatt getrost weglegen,
es ist nichts Neues,
aber wer nicht ...

 

Viele Jahre meines Lehrerinnenlebens habe ich zugebracht ohne mir über die Ähnlichkeitshemmung, auch bekannt als das Ranschburg-Phänomen, Gedanken zu machen. Und in meinen zahlreichen Gesprächen mit Lehrer/innen bei Seminaren, Pädagogischen Tagen, am Messestand ist mir klar geworden, dass es sehr wenige Lehrerinnen und Lehrer gibt, die sich damit ernsthaft auseinandersetzen.
Die Schulbücher sind ja sowieso voll von gravierenden Verstößen gegen das Gesetz der Ähnlichkeitshemmung. Man kann kaum ein Buch und kaum eine Kartei unbereinigt verwenden, wenn man erst einmal darauf aufmerksam geworden ist.

ABER MAL VON VORN:

Jeder, garantiert jeder, kennt das von sich selbst, hat nur vielleicht noch nicht darüber nachgedacht, woher das kommt.

... Das Ranschburg-Phänomen ist die 1905 von dem Psychologen Ranschburg nachgewiesene Hemmung des Gedächtnisses bei der Reproduktion von ähnlichen Lerninhalten durch Mangel an gestaltlicher Differenzierung. (Meyers Enzyklopädie)

Ich, zum Beispiel, kann die Herren Hübner und Huber nicht auseinander halten, obwohl sich die Herren ganz unähnlich sind - aber die Namen!
Genauso geht es mir bei "Wiedergabe". Meine Lehrer haben mir - wie alle Lehrer in diesem unserem Lande - klar gemacht, dass "noch-einmal-wieder" mit "ie" und "entgegen-wider" mit "i" zu schreiben ist.
Dann haben sie mich viele schöne Entscheidungsübungen machen lassen, wo ich dann 7-mal "wieder" und 6-mal "wider" einsetzen musste, mit dem Erfolg, dass ich heute noch, nach 40 Jahren, immer überlegen muss, ob "ie" oder "i".

Hätten die Lehrer
auf diese hirnrissigen Übungen verzichtet,
mir stattdessen immer wieder nur die
"Wider"wörter vor Augen geführt,
dann müsste ich heute nicht jedesmal nachdenken,
sondern könnte ganz spontan hinschreiben.

 

Die Regeln, die ich mir so mühsam gemerkt habe, lassen mich leider auch im Stich, denn kommt "Wiedergabe" nicht genauso entgegen wie "Widerhall"? Warum schreibt man's dann nicht mit "i"? Oder: "äu" kommt von "au" und was nicht von "au" kommt, schreibt man mit "eu":
Bäume - Baum, Fräulein - Frau ... aber "Säule" kommt doch nicht von "Sau" und, hat ein Kind mal zu mir gesagt, der Teufel ist nicht getauft, also "Täufel"!
So, ich hoffe Sie jetzt hinreichend verwirrt zu haben.

ALSO, FANGEN WIR NOCHMAL VON VORNE AN:

Jede, oder sagen wir mal fast jede, Erzieherin weiß, dass sie einem Kind nicht "rechts" und "links" gleichzeitig beibringen darf, sonst wird es ewig Schwierigkeiten mit der Unterscheidung haben. Sie erklärt dem Kind:
"Das hier ist deine linke Hand" (sie nimmt links, weil das beim Straßenüberqueren wichtig ist), dann malt sie auf dem Zeigefinger der linken Hand den Nagel mit Nagellack an.
Und jetzt wird schön brav "links" geübt.
Am Anfang schaut das Kind noch auf den Nagel, nach kurzer Zeit weiß es ganz genau, welcher Nagel rot ist. Es braucht gar nicht mehr hinzusehen.
"So, Sveni, zeig mir mal das linke Klötzchen!" Sveni guckt oder guckt nicht und zeigt auf das linke Klötzchen. Jawohl, dies ist das linke und das nicht. Fertig!
Eines Tages wird Sveni wissen, dass das, was nicht links ist, dass das "rechts" heißt. Aber dann macht ihr das nichts mehr aus. Sie ist sich ganz sicher.
Einem Kind "rechts" und "links" gleichzeitig beizubringen, ist ein Verbrechen.

Was dabei herauskommt, kann jede Sportlehrerin bestätigen, die auffordert: "Und jetzt drei Schritte nach rechts!" - und zwei Schüler/innen sind immer dabei, die nach links marschieren.

SO, UND NUN EIN BLICK IN UNSERE SCHULBÜCHER!

Im Mathebuch steht zum Beispiel erklärt, wie man am schnellsten addiert:

 6+3= 9
16+3=19
26+3=29
. . .

Das ist schon in Ordnung, aber direkt darunter steht:

   6+   3=   9
 60+ 30= 90
600+300=900
. . .

So, und jetzt weiß keiner mehr, was Sache ist.
Diese Hilfen wären schon recht, aber bitte nicht direkt nacheinander.

Oder ein anderes Beispiel: Wir bringen den Drittklässlern die schriftliche Addition so bei:

2 
+ 6 
8    sprich:   6 plus 2 gleich 8, schreibe 8

- und, kaum begriffen, auf der nächsten Seite die Subtraktion:

8  
- 6   sprich:     6 plus wie viel gleich 8,
2      6 plus 2 gleich 8, schreibe 2

Und fragt die Lehrer/innen einer 3. Klasse, fast alle (ich glaube: alle) Kinder schmeißen jetzt alles durcheinander und schreiben anstatt der 2 als Ergebnis die 8.
Oder es wird erklärt: "kilo" bedeutet das Tausendfache, "milli" bedeutet ein Tausendstel. Ein Millimeter also ... ein Kilometer also ... und keiner weiß Bescheid!
Es ließen sich beliebig viele Beispiele für Mathematik finden, aber gehen wir zu Englisch:

Warum fragt sich kein Englischlehrer,
weshalb wohl seine Schüler
"their" und "there"
"were" und "where"
und so weiter ständig verwechseln ?

 

Weil man sie extra noch darauf hingewiesen hat, dass sie's ja nicht verwechseln sollen, anstatt das Wort in seinem Sinnzusammenhang zu üben und Verwechslungen erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Manchmal lässt sich eine Verwechslung nicht vermeiden, wie zum Beispiel bei "who" (Englisch) - "wo" (Deutsch) und "where" (Englisch) - "wer" (Deutsch), man nennt das false friends.
Da muss man eben mit einprägsamen Eselsbrücken arbeiten, also die Sinne einschalten, indem man zum Beispiel jedesmal, wenn "who" auftaucht, Erschrecken mimt: "Huh!" (Who is it? Huh! Der schon wieder!) Das prägt sich dann ein.
Das ist zwar auch die Ähnlichkeitshemmmung "who - Huh!" aber hier positiv als Eselsbrücke verwendet.

Oder Deutsch, eine Fundgrube für die Ähnlichkeitshemmung! Vor allem jetzt mit der neuen Rechtschreibung - alt und neu fröhlich nebeneinander. Unvermeidlich für Lehrer/innen, eine Katastrophe für Schüler/innen. Das muss nicht sein! Kaufen Sie die richtigen Bücher!
Und: in welchem Schülerbuch wird nicht das d und t, b und p, g und k nebeneinander gestellt?
Um das Maß voll zu machen: Ich habe auf einem Arbeitsblatt für Erstklässler doch wahrhaftig die Entscheidung d oder b gesehen. Ein Wunder, dass nicht alle Kinder Analphabeten werden!
Die Entscheidung s - ss - ß, das fällt uns doch gar nicht mehr auf! Auffallend ist allerdings, dass kaum ein Mensch das heute mehr sicher schreiben kann!
ä oder e, s oder sch, chs - gs - ks - cks ... oder das und dass ... - Lasst uns aufhören!

WIE ALSO MACHT MAN'S RICHTIG?

Man lässt gar keine Zweifel aufkommen!
Man achtet streng darauf, nur ja nichts Ähnliches nebeneinander darzustellen, man gibt Regeln erst dann an die Hand, wenn das Kind schon eine große Sicherheit erlangt hat!

Es muss doch
jedem Lehrer aufgefallen sein,
dass die simple Regel
"Alles, was man durch
dieses - jenes - welches
ersetzen kann, heißt das,
alles andere heißt dass"
überhaupt nicht funktioniert.

 

 
Von 25 Kindern begreift das vielleicht eines und das auch nur, weil es so sicher in Rechtschreibung ist, dass man nichts bei ihm kaputt machen kann.
Wie also?
"dass" wird geübt, indem man Sätze sucht, übt, betrachtet, die "dass" enthalten:

Es ist schön, dass ...
Es könnte sein, dass ...
Ich hoffe, dass ...

Und wenn das dann "sitzt", dann ist doch sowieso klar, dass alle anderen "das" sein müssen, darauf brauche ich nicht hinzuweisen. (Irgendwann wird das Kind die Regel "Alles, was man ..." verkraften können - nur: dann braucht es die nicht mehr!)

ä-Wörter kann man durchaus üben, indem man sie von a-Wörter ableitet, warum nicht, aber doch um Gottes Willen nicht, Indem man sie neben e-Wörtern aufführt. Auf der Karteikarte, die ich hier liegen habe, steht zum Beispiel:

Setze in die Mehrzahl: das Zelt, der Ball, der Wald der Fleck ...
im Heft steht dann noch Zelte, Bälle, Wälder, Flecken ...,
doch man wundert sich,
warum man im nächsten Diktat "die Zälte" lesen muss.

Und auch bei ss - ß kann ich nur immer wieder sagen, üben Sie die ß-Wörter auf vielfältige Weise, hängen Sie sie auf schönen Plakaten an die Wand, lassen Sie den Bundeskanzler in einer Sprechblase sagen: "Ich liebe Klöße mit Soße.", (ß unterstreichen) oder sonst was Feines.

Legen Sie Wortlisten an zu ß und beginnen Sie den Tag, indem Sie ein ß-Wort auf dem Tageslichtprojektor kurz auf- und dann wieder zudecken und lassen Sie raten, welches Wort es war.
Um die ai-Wörter einzuüben, habe ich die Kinder sich in Gruppen einteilen lassen, und mit den Wörtern, die wir gemeinsam gesammelt hatten, schrieb dann jede Gruppe einen Text. So ist eine wunderschöne Geschichte vom "Waisenkaiser" entstanden, der übrigens am Kai saß und sanft die Saiten zupfte. Leider kam dann ein Hai, weil er nämlich das gute Maisbrot gerochen hatte, ... aber mehr wird nicht verraten!
Für Max, den Taxifahrer, der versehentlich eine Hexe ... gilt natürlich das Gleiche.
Natürlich muss ich erklären, dass "kilo" das Tausendfache und "milli" der tausendste Teil bedeutet, aber das muss ja nicht nebeneinander sein, wenn "Kilometer, Kilogramm" erst mal ganz sicher sitzen, dann kann man viel später erklären, was "Millimeter" bedeutet.

Um das Ganze noch abzurunden möchte ich noch erwähnen, dass es auch eine inhaltliche Ähnlichkeitshemmung gibt, dass man zum Beispiel Wörter wie Strumpf und Socke miteinander verwechseln kann, weil sie das Ähnliche bedeuten.

Oder um mal wieder mit einem Namensbeispiel zu kommen: Unser Augenarzt heißt Kurz (glaube ich jedenfalls), aber ich weiß nie, wenn man mich fragt, ob er jetzt Kurz oder Klein heißt. Zum einen ist da die Äußerlichkeit: beides kurze Namen, beide beginnen mit K und dann kommt dazu: die Namen sind sich inhaltlich ähnlich, kurz und klein gehört ja irgendwie zusammen. Auf diese möchte ich jedoch nicht näher eingehen, weil sie nicht so bedeutend ist. Im Fremdsprachenunterricht sollte man ein Auge darauf haben und bei Deutsch für Ausländer.
Ich hoffe, dass ich Sie jetzt für dieses Problem sensibilisiert habe - sofern Sie's nicht schon waren.
Ich kann Ihnen versprechen, wenn Sie erst einmal darauf zu achten beginnen, können Sie sich kaum noch retten.

Leute, die dieses nicht wahrhaben wollen -
denn es ist schon eine Zumutung
zugeben zu müssen,
dass man jahre-, vielleicht jahrzehntelang
gegen dieses Gesetz gesündigt hat -
führen jetzt an:

 

 
"Aber es ist doch ganz nützlich, wenn man ähnliche Dinge nebeneinander stellt. Ich kann mir die Telefonnummer meiner Freundin nur merken, weil sie so ähnlich ist wie die meiner Mutter!"
Das kann schon sein.
Erst denkt er an die Telefonnummer seiner Mutter: 7 58 59, dann denkt er an die seiner Freundin: letzte Ziffer ersetzen durch 2. Also 7 58 52. Das ist nun eine Eselsbrücke. Besser wäre es gewesen, aber leider nicht zu ändern, seine Freundin hätte eine ganz andere Telefonnummer als seine Mutter. In diesem Falle hätte er sie einfach durch häufiges Benutzen auswendig gelernt und wäre nicht durch den vertrauten Rhythmus 7 58 5... von seiner gewünschten Nummer abgelenkt worden.
Und wie gesagt: Wenn man sich um alles in der Welt etwas nicht merken kann, dann baut man sich eine Eselsbrücke. Aber besser, das muss halt auch gesagt sein, ist, wenn möglich, der gerade, direkte Weg.

UND: Alle Materialien des AOL und Freiarbeit Verlages beachten das Gesetz der Ähnlichkeitshemmung! Sie erhalten dieses Informationsblatt auch im Klassensatz gegen Einsendung eines frankierten Rückumschlags unter der Bestellnummer i101 beim:

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