DEUTSCH Legasthenie |
Die Gestaltung des Bildschirms
Ein Prinzip bei den Spielen liegt darin, dass sich bei der richtigen Lesehandlung etwas auf dem Bildschirm verändert oder zu hören ist. Denn Bedeutung muss es ja haben, wenn ich durch Lesen oder Schreiben die Welt ein klein wenig verändern kann. Auch die sofortige Rückmeldung nach einer Leistung ist hierbei wichtig, weil sie zu einem größeren Sicherheitsgefühl und zu einem klareren Erfolgserlebnis bei dem Kind führt. Misserfolge sind vor dem Hintergrund schon gemeldeter positiver Feedbacks besser zu ertragen und leichter einzuschätzen. Gleichzeitig musste darauf geachtet werden, den Bildschirm nicht mit unnötigen Reizen zu überfrachten.
Was für den geübten Computerspieler anziehend wirkt, kann auf ein Kind mit Lese-Rechtschreib-Problemen zum unüberschaubaren Wirrwarr werden.
Raum-Lage
Bis zu einem Alter von sechs bis sieben Jahren identifiziert das Kind einen Gegenstand aus verschiedensten Blickwinkeln signifikant besser als der Erwachsene. Der sprunghafte Zuwachs der Raum-Lage-Wahrnehmung - in der Regel innerhalb des 1. Schuljahres - bedeutet, dass das Kind die Ausrichtung des Gegenstandes als eventuell bedeutungstragenden Faktor nun zusätzlich ermitteln kann. Das Kind, das gestern noch mühelos in Spiegelschrift schrieb und Buchstaben verdrehte, benutzt jetzt die Buchstaben richtig, die von der Form her identisch, von der Ausrichtung und damit ihrer Bedeutung aber völlig unterschiedlich sind. Bei Kindern mit Lese-Rechtschreibschwäche verläuft dieser Prozess deutlich verzögert. Daher wird in dieser Lernspielgruppe mit "verkehrten" Buchstaben gespielt: in "Alphabet" auf Buchstabenebene, in "Zauberwörter" auf Wortebene und in "Geheime Botschaften" auf Textebene.
Buchstaben identifizieren
Auf dem Weg zum sinnerfassenden Lesen erbringt das Kind eine Vielzahl von Leistungen. Die Analyse von Lesestörungen zeigt: Das Kind ist beim Erfassen von Buchstaben nicht in der Lage, erforderliche Transferleistungen zu erbringen. Es schafft es nicht, visuelle Symbole zu dekodieren und in mundmotorische Muster zu übersetzen, die eine Lautgestalt ergeben. Wenn die Buchstabenerkennung und ihre lautliche Realisierung nicht innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde ablaufen, das heißt als automatisierte Routine abrufbar sind, kann das Kind nicht fließend lesen. Diese zeitliche Verzögerung kann das Kernproblem bei Störungen des Leseerwerbs in den ersten Grundschuljahren darstellen. In dieser Lernspielgruppe wird dem Problem in den Spielen "Störenfriede" (Screenshot 2) und "Buchstabenhonig" Rechnung getragen. Darüber hinaus liegt ein Schwerpunkt auf der Unterscheidung und dem Herausfiltern ähnlicher Buchstaben. Im Spiel "Einer fehlt" wird der routinierte Umgang mit der Reihenfolge der Buchstaben im Alphabet geübt.
Wörter sind Lautgestalten oder Buchstabenanordnungen für entsprechende
Bedeutungen, das heißt für ganzheitlich assoziierte Wahrnehmungs- und
Erfahrungskomplexe. Neben psychischen und situativen Faktoren sind Bezeichnendes und
Bezeichnetes wesentliche Säulen der Kommunikation.
Um das Bezeichnete richtig auszusprechen und korrekt zu lesen, bedarf es einer
bestimmten seriellen Anordnung der einzelnen Buchstaben und Laute. Vertauscht man sie,
verwechselt sie oder lässt sie gar aus, kann eine unsinnige Botschaft oder ein Missverständnis entstehen.
So unterliegt das Bezeichnende dem Diktat der richtigen Reihenfolge - Bedeutung ist immanent. Es zeigt
sich, dass Kinder mit Leseproblemen meistens nicht in der Lage sind, die Symbolfunktion einzelner
Buchstaben und deren Reihenfolge dem Kontext einer Bedeutung zuzuschreiben. Ein Buchstabe alleine bedeutet nichts. Wozu dient dann eine Reihenfolge, die als mühsam und abstrakt empfunden wird und mit dem Bezeichneten in keinem Zusammenhang zu stehen scheint?
In der Sehnsucht nach Bedeutung werden die Kinder in dieser Lernspielgruppe herausgefordert, kleine Buchstabensequenzen zu meistem. In den Spielen "Silbensuche" und "Fahrende Buchstaben" werden die Bedeutungen vorgegeben. Kann das Kind der Aufforderung nach Lösung der richtigen Silben oder Buchstaben in der richtigen Reihenfolge nachkommen, geschieht wiederum etwas Bedeutsames - das Wort gewinnt sozusagen Farbe. Beim "Reimquartett" (Screenshot 3) wird das Kind animiert, durch Auswechseln des ersten Buchstabens eines Wortes möglichst vielen Bedeutungen auf die Spur zu kommen.
Sinnerfassendes Lesen
Erfolgreiches Lesen basiert auf zwei verschiedenen Kompetenzen. Zunächst wird anhand weniger Strukturmerkmale erkannt, um welches Wort es sich wahrscheinlich handelt - dies geschieht simultan. Passt das Wort nicht in den Kontext, erschließt es sich der Leser systematisch und sequenziell. Die erste Kompetenz ermöglicht es, schnell zu lesen, die zweite, es genau zu tun. Beide Kompetenzen werden in den Spielen der vierten Lernspielgruppe gefördert. Dem Kind werden möglichst viele Wahrnehmungsmomente einer Sache vorgeben: Bild, geschriebenes und teilweise auch gehörtes Wort. Die Bedeutung wird also angeboten und das geschriebene Wort (durchweg kurze Inhaltswörter) dieser zugeordnet.
In "Wörtersuche" wird durch das Angebot einsilbiger Wörter das Erfassen von Di- und Trigraphemen geübt sowie das genaue Erfassen der Reihenfolge einzelner Buchstaben. In "Blitzwörter" sieht das Kind nur für sehr kurze Zeit ein- oder zweisilbige Wörter und muss sie durch ganzheitliches Erfassen ihrem Bild zuordnen. Das "Memory" besteht aus Kartenpaaren, die zum einen ein Wort und zum anderen dessen gemaltes Sinnbild beinhalten. Beim Aufdecken des Bildes hört das Kind das gesuchte Wort. Es gibt jeweils zwei ähnlich klingende und damit auch ähnlich geschriebene Begriffe mit verschiedenen Bedeutungen.
Neben der trivialen Grundvoraussetzung, dass das Kind signalisiert, gerne mit dem Computer spielen zu wollen, sollte der Betreuer ein angstfreies Verhältnis zum Computer aufgenommen haben. Darüber hinaus sind spielerische Neugierde und die Bereitschaft wichtig, mit unserer traditionellen europäischen Lernkultur zu brechen, die das spielende Lernen und das lernende Spielen eigentlich nicht vorsieht. Weiterhin sollte sich der Lehrer bzw. Therapeut schon im Vorfeld mit diesem Programm vertraut gemacht haben, d. h. er sollte erstens wissen, wie es zu bedienen ist, zweitens, welche Spiele man damit spielen kann. Die Spielbeschreibungen, die Spielanleitungen und die Erläuterungen zu den Überschriften im Menü bringen dem Pädagogen die therapeutische Intention der jeweiligen Spielgruppe näher. Man braucht sie nur anzuklicken und die kurzen Texte zu lesen, schon ist dieser Teil der Vorbereitung erledigt. Auch sollte der Lehrer realisieren, dass es sich hier nicht um irgendein Fun-Produkt handelt, das Kinder durch wildes Herumklicken selbst spielen können. Er sollte, zumindest beim ersten Mal jedes einzelnen Spiels, dabei sein, um Hilfen geben zu können und Fragen zu beantworten. Kurzum: Lernspiele sind ein Medium (ähnlich wie ein Schulbuch) der Unterrichts- bzw. Fördersituation.
Kann CESAR LESEN die Legasthenie erfolgreich heilen?
Ganz sicher nicht - aber es ist ein motivierendes Additiv in der Therapie, das Erfolgserlebnisse möglich macht und das Selbstbewusstsein stärkt. Meine Philosophie ist dabei folgende: Wecke im Kind die Sehnsucht nach den Buchstaben, so wird es sich eines Tages selbst auf den Weg machen, die Welt der Buchstaben zu erobern. Viele Menschen erzählen mir, dass sie ihre Lese-Rechtschreib-Probleme erst dann in den Griff bekamen, als sie selbst etwas mit Lesen und Schreiben bewirken konnten. Der triumphierende Blick von Kindern, die meine Praxis verlassen, sagt mir sehr deutlich, dass sie heute nicht als Verlierer gehen. Vor Buchstaben muss man nicht kapitulieren.
Kinder, denen CESAR LESEN 1.0 angeboten wird, sollten als Voraussetzung ein Mindestmaß an Buchstabenkenntnissen mitbringen. Weiterhin sollten sie Buchstaben in kleiner Folge schon lautlich zusammenziehen können. Die Schnelligkeit dabei ist jedoch nicht wichtig. Das Programm kann also in der Grundschule für die Leseecke ab der 2. Klasse eingesetzt werden; Ausnahmen bilden hier die "Geheime Botschaften" und die "Zauberwörter" (eindeutig zu schwierig). Kinder, die Schwierigkeiten mit dem Leseerwerb haben, sprechen auf das Programm ab der 3. Klasse in der Regel sehr positiv an. Je nachdem wie gut oder schlecht sie sind, kann bis zur 5. Klasse damit gearbeitet werden. Bei dieser Klassenstufe denke ich besonders an die Kinder in Sprachheilschulen. Wenn Kinder nach kurzer Zeit vom Bildschirm weggucken, sich die Augen reiben oder ihre Gesichtsfarbe ändern, sollte man sie auffordern, eine Pause zu machen. Die Arbeit mit dem Computer kann manchmal einen erheblichen Einfluss auf das vegetative Gleichgewicht nehmen. Schwindel und möglicherweise Übelkeit können dann die Folgen sein.
Welche Spiele sollen mit dem Kind gespielt werden ?
Zur Einführung suche ich ein Spiel für das Kind heraus, von welchem ich denke, dass es dieses gut kann. Sehr häufig ist es "Blitzwörter". Erstens spielen es nahezu alle Kinder sehr gerne und zweitens fasziniert es ein Kind mit Leseproblemen, wenn es ein Wort, das es langsam nur mühsam liest, auf einmal ganz schnell identifiziert: ein ungeahntes Erfolgserlebnis. Gleichzeitig wird durch das Suchen der Gegenstände eine vorher schwarz-weiße Szene auf einmal farbig. Manchmal brauchen die Kinder einen kleinen Hinweis, wo noch eine Sache versteckt ist. Eine kleine Schwäche im Programm: Der Lehrer muss die Wörter selbst erst einmal herausfinden.
Auch "Buchstabenhonig" spielen die Kinder gerne: Einzelne Buchstaben müssen unter vielen anderen herausgefunden werden und füllen ein Glas mit Honig. Hier kann der Lehrer begleitend die Buchstaben artikulieren oder das Kind raten lassen, wie der Buchstabe heißt.
In der gleichen Spielgruppe gibt es noch das Spiel "Einer fehlt" (siehe Screenshot 4). Hier sollen T-Shirts mit je einem Buchstaben der Reihe nach auf eine Wäscheleine gehängt werden. Ein Buchstaben-T-Shirt fehlt in der Reihe, sein Platz soll an der Wäscheleine frei bleiben. Die fehlenden Buchstaben werden gesammelt und ergeben ein illustriertes Lösungswort. Dieses Spiel fördert die Fähigkeit, Wörter, die Unsicherheiten bei der Rechtschreibung aufwerfen, im Lexikon nachschlagen zu können. Dieses Spiel erfordert eine sehr hohe Konzentrationsbereitschaft. Ich spiele es höchstens einmal pro Setting mit den Kindern und dies auch nur bei guter und belastbarer Tagesstimmung.
Kindern mit auditiven Teilleistungsschwächen konfrontiere ich dann nach zwei bis drei Therapien mit dem "Reimquartett". Hierbei müssen sie zunächst intensiv begleitet werden. Oftmals übersehen die Kinder am Anfang, dass sie schon ein sinnvolles Wort gefunden haben, weil sie Laute nur aneinander reihen; dann sollte man ihnen Hilfen geben: Jopf, gibt's das? - nein. Nach wenigen Durchgängen hat es meistens beim Kind "geklickt" und es ist jetzt auf einem regelrechten Suchtrip.
Auch das "Memory" (Screenshot 5) ist sehr gut bei Problemen in der auditiven Differenzierung geeignet. Marco, ein Drittklässler, kommt schon seit längerer Zeit zu mir. Sein Problem, den Plosiv "t"' vom stimmhaften "d" zu unterscheiden, ist sehr resistent. Beim "Memory", das ihn genau mit dieser Schwäche konfrontierte, staunte er, als er "Seide" und "Seite" verwechselte und sein Problem erkannte. Ich kann mir keinen besseren Lernprozess vorstellen als den, der einen Staunensprozess in einer Erkenntnis enden lässt.
"Störenfriede" spiele ich gerne mit hyperaktiven Kindern. Schnelle Reaktionen sind hier gefragt schnelles und richtiges Sehen aber auch. Es ist bekannt, dass Spiele, die bei hyperaktiven Kindern schnelle richtige Reaktionen belohnen, auch die Stopp-Mechanismen, die nötig sind, damit nicht die richtigen zu falschen Buchstaben umgeklickt werden, provozieren. Sprich: Belohne ich ein Kind für seine Schnelligkeit, wenn sie zum richtigen Ergebnis führt, wird es auch in seiner Bedachtsamkeit besser werden. Dies fördert Antizipation, die dann wichtig wird, wenn das Kind vor dem zu lesenden Wort schon seine Fallen entdecken und mit ihnen umgehen soll.
Zunächst hatte ich das Programm nicht für die Grundschule konzipiert. Allerdings testeten wir es trotzdem mit vielen Schulkindern, weil wir seine allgemeine Attraktivität sicherstellen wollten. Eine überraschende Erkenntnis war: Es ist für Grundschulkinder in der 2. und 3. Klasse auch ohne Teilleistungsprobleme durchaus spannend und lehrreich. Beim "Reimquartett" können sie durch Trial und Error feststellen, dass die Wörter "Reh", "Zeh" und "Weh" zwar genauso wie "Fee", "See" und "Tee" gesprochen werden, sich jedoch verschiedener orthografischer Schreibweisen bedienen. Durch aktives Lesen kann hier schon ein Ankern für orthografische Elemente stattfinden. Bei "Blitzwörter" üben sie das ganzheitliche Lesen und bei "Fahrende Buchstaben" die Pilotsprache. Hier werden verschiedene Strategien angesprochen, die der gereifte Leser später unterschiedlich abrufen muss, will er einen Text erfolgreich bearbeiten (Querlesen, Vorlesen, Korrekturlesen usw.).
Während des Grundschulunterrichts kann mit CESAR in der Leseecke gespielt werden, wo es eine leichte räumliche Trennung von den anderen Kindern gibt. Gerne spielen die Kinder zu zweit; dabei können und dürfen sie sich gegenseitig unterstützen. Auch hier sollte der Lehrer die Spielregeln kurz erklärt haben.
Der Förderunterricht im Lesen ist ein ideales Forum für die Anwendung des Programms. Die individuelle Betreuung der Kinder macht es hier besonders gut möglich, die Kinder zu beobachten und herauszufiltern, welcher Strategien sie sich bedienen und ob diese ihnen beim Lesen helfen. Die daraus gezogenen Erkenntnisse können dann bei der Planung anderer Übungen in das Förderungskonzept einbezogen werden.
Mit welchen Spielen haben Sie besonders gute, mit welchen schlechtere Erfahrungen gemacht?
Die meisten Kinder, die ich betreue, haben auditive Teilleistungsstörungen. Dadurch bedingt spiele ich mit ihnen meistens die Spiele aus den letzten drei Spielegruppen. Hierbei sind meine Favoriten das "Reimquartett" und die Suchspiele. Die Spiele aus der ersten Gruppe verwende ich, wenn spezielle Leseprobleme darin bestehen, dass ähnlich aussehende Buchstaben verwechselt werden. Ergotherapeuten berichten mir jedoch, dass sie auch sehr gerne die erste Spielegruppe mit ihren Probanden bearbeiten. Hier spielt bei ihnen offensichtlich die Bewältigung von visuellen Wahrnehmungsdefiziten eine größere Rolle als bei uns Logopäden. Bei dem Spiel "Zauberwörter" und "Geheime Botschaften" muss das Leistungsniveau des Kindes gut bekannt sein, denn einige Kinder fühlen sich von diesen beiden Spielen überfordert.
Wie lange sollte das Kind mit dem Programm arbeiten?
Beim ersten Mal wird sich der Betreuer genügend Zeit nehmen, um dem Kind kleinere Details am Computer zu erklären. Ich spiele in der Regel 15-20 Minuten mit den Kindern. Mir ist es lieber, wenn die Kinder das Programm häufiger verwenden, dafür jedoch nicht so lange. Ich betrachte die Spiele als eine Stimulans für bestimmte Hirnleistungsprozesse und Erfahrungen, die das Kind "mit unters Kopfkissen nimmt". Hierfür ist nicht die Länge des Spieles entscheidend, sondern eher die Häufigkeit.
Schule kann heute moderne und attraktive Lernwelten anbieten, die die Interessen und Sehnsüchte der Schüler ansprechen. Einige Bundesländer planen, jede Grundschulklasse kurzfristig mit einem Computer auszustatten. Der gleiche Trend kann in therapeutischen Praxen und Einrichtungen festgestellt werden. Das begrüße ich sehr, denn es wird Zeit, dass Schule und Therapie sich kompetent eines Mediums bedienen, das in vielen Haushalten einen selbstverständlichen Platz gefunden hat.
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