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Straßenbahnfahrer Ronald Verwerker, 38, Frankfurt |
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Wie sich Ronald Verwerker auch entscheidet, irgendjemanden
wird er immer verärgern. Wenn er nachmittags an der Haltestelle Messe die Türen
seiner Straßenbahn schon geschlossen hat und das Signal bereits auf
"freie Fahrt" umgesprungen ist, dann kommt bestimmt noch jemand
angerannt. Soll er die Tür nun noch mal öffnen? Tut er es, dann freut sich
mindestens einer. Mancher Fahrgast hinter ihm kann aber sauer sein, weil er
wegen des Anschlusses zur S-Bahn im Druck ist.
Einmal hat der Fahrer am Bahnhof Niederrad die Türen ein zweites Mal aufgemacht, als dort die S-Bahn verspätet war und alles in seine Richtung stürzte. "Doch von den 80, die noch zugestiegen sind, kam kein einziges Dankeschön - manche vergessen einfach, dass da vorne ein Mensch sitzt." Er erlebt aber auch, dass es anders geht: Weil er auf ihn gewartet hatte, wollte sich ein älterer Mann bei ihm mit einer Flasche Schnaps oder einer Zigarre bedanken - obwohl Verwerker nicht raucht, und erst recht nicht im Dienst trinken darf. Ein anderes Mal schenkte ihm eine alte Dame eine Tafel Schokolade: "So etwas tut in der Seele gut." Ronald Verwerker ist niemand, der den Kontakt mit den Menschen scheut. So hat er sich vor ein paar Jahren zum Fahrlehrer der hauseigenen Fahrschule weiterbilden lassen: Er begleitet seitdem Berufsanfänger, wenn sie am Ende ihrer dreimonatigen Ausbildung erstmals eine Bahn im Linienverkehr fahren. Er selbst hatte sich für den Beruf des Straßenbahnfahrers entschieden, weil dieser recht gut bezahlt wurde und der Arbeitsplatz als sicher galt. Schon sein Vater hat bei den Stadtwerken gearbeitet - als Busfahrer. Dass er im Schichtdienst fahren muss, war ihm deshalb bewusst. Die erste Straßenbahn verlässt das Depot bereits um kurz nach drei Uhr morgens. Die Spätschicht beginnt zwischen 17 und 18 Uhr und endet, je nach Linie, zwischen halb eins und halb zwei. Egal, wann Verwerker mit seiner Trambahn losfährt: Er muss zu jeder Zeit hellwach sein und blitzschnell reagieren können, wenn ein Fußgänger unachtsam über die Gleise läuft oder ein Autofahrer ihm die Vorfahrt nimmt. "Manche vergessen, wie schwer eine solche Bahn ist." Der 38jährige muss deshalb bei seiner Fahrt ständig mögliche Fehler anderer einkalkulieren. "Man entwickelt ein richtiges Gespür für Gefahren- und Extremsituationen." Lassen diese sich nicht vorhersehen, hilft nur noch das Ziehen der Notbremse - keine leichte Entscheidung: "Ich habe immer Panik, dass sich nicht alle Fahrgäste festhalten." Er trägt die Verantwortung für weit mehr Menschen, als so mancher Manager - etwa 1500, so schätzt er, fahren täglich bei ihm mit. Ein schwerer Unfall ist dem 38jährigen zum Glück bislang nicht passiert. Als sich nachts einmal ein Selbstmörder vor seinen Zug warf, bemerkte der Fahrer es noch rechtzeitig. Der Mann wurde nur leicht verletzt. An seinem Beruf missfällt Verwerker nur, dass die Pausen an den Endstationen stark verkürzt wurden, um ein bis zwei Bahnen pro Tag einzusparen. Dadurch sei es kaum noch möglich, Verspätungen aufzuholen, "außerdem ist man im Berufsverkehr dankbar für ein paar Minuten Pause". Bei der Linie 14 seien die Kürzungen wieder rückgängig gemacht worden. Aber nicht nur deshalb ist sie seine Lieblingsstrecke. "Die Fahrt durch den Wald nach Neu-Isenburg - das ist Entspannung pur." (ram)
Weitere Informationen über den Beruf des Straßenbahnfahrers
und die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt gibt die Berufsberatung des
Frankfurter Arbeitsamtes, |
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FR vom 1.12.1998 |
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