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Ingrid Rasch

Eigene Überzeugungen und Unterschiede zu anderen sollten selbstbewusst gelebt werden. Verschiedene Lebensführung und Einstellungen zur Religion sind selbstverständlich und gleichwertig, sie gehören ganz natürlich zu jedem Menschen. Das bedeutet dann auch, zu seiner eigenen Religiosität zu stehen.

Toleranz kann man durchaus von anderen einfordern.

Diplom-Psychologin Ingrid Rasch antwortet:

Beten ist in der Clique nicht cool

Wie soll man sich verhalten, wenn Kinder sich vor den Freunden für die eigene Religiosität schämen?

Tischgebet
Das Tischgebet gehört in vielen Familien zum Alltag. Aber Jugendlichen ist es „voll peinlich“, wenn Freunde zu Gast sind.
Frage: Wir haben ein Problem mit unserem Sohn, der jetzt 14 Jahre alt ist. Er war immer etwas einzelgängerisch, aber seit einiger Zeit hat er Gott sei Dank Freunde gefunden. Es sind nette Jugendliche, mit denen er oft unterwegs ist, die aber auch zu uns nach Hause kommen. Jetzt hat er uns damit konfrontiert, dass wir auf keinen Fall ein Tischgebet sprechen sollen, wenn einer der Freunde da ist, es wäre „voll peinlich“. Er könnte die Freundschaft vergessen, wenn die anderen merken, wie fromm es bei uns zugeht, bei keinem der Freunde gäbe es das.

Früher war das gemeinsame Gebet keine Frage für ihn, und für seinen kleinen Bruder ist das Tischgebet selbstverständlich. Mein Mann meint, wir sollten auf jeden Fall beten. Ich bin sehr unsicher geworden, weil ich ihm die Freundschaften nicht verbauen will. Ich bin ja froh, dass er ab und zu noch mit uns in die Kirche geht. Immer schaffen wir es auch nicht, ihn zum Mitgehen zu bewegen.
 

Ingrid Rasch:

Sie beschreiben eine Situation, die in der Tat nicht einfach ist. Es geht um die Abwägung von zwei sehr wichtigen Gütern. Da ist einmal Ihre religiöse Praxis in der Familie - das Tischgebet als ein vertrautes Ritual, mit dem Sie als Erwachsene Ihrem Glauben Ausdruck verleihen und auch Ihren Kindern vorleben. Es liegt nahe, sich darin nicht beirren zu lassen, weder in der eigenen Praxis noch darin, eigene Überzeugungen glaubwürdig an Kinder weiterzugeben.

Zum anderen ist da die Bedeutung von Freundschaften für Ihren Sohn, sein (sehr altersgemäßer) Wunsch, sich zugehörig zur Gruppe der Gleichaltrigen zu fühlen, kein Außenseiter sein zu wollen. Sich mit einem Gebet öffentlich in einer Gruppe anders denkender oder religiös indifferenter Menschen zu seinem Glauben zu bekennen, das ist auch für Erwachsene nicht immer leicht. Es gehört in unserer heutigen Gesellschaft Selbstbewusstsein und Mut dazu - beides Eigenschaften, die im Jugendalter erst entstehen und wachsen. Ich kenne nicht wenige Jugendliche, die in der Schule zum Beispiel ihr Messdienersein verschweigen aus Angst, verlacht zu werden. (Ob die positiven Gemeinschaftserfahrungen des Weltjugendtages hier ein Klima größerer Akzeptanz schaffen, bleibt noch abzuwarten.)

Ich schlage Ihnen vor, als Eltern gemeinsam mit Ihrem Sohn in Ruhe zu besprechen, um welche Abwägung von „Gütern“ es aus Ihrer Sicht geht. Ich gehe davon aus, dass es für ihn wichtig und hilfreich sein wird zu erfahren, dass Sie seine Anliegen und Bedürfnisse ernst nehmen und respektieren - ebenso wie Sie das für die Ihren erwarten. In einem solchen Gespräch könnten Sie miteinander Ideen entwickeln, auf welche Weise Sie beiden wichtigen Anliegen gerecht werden können.

Gewiss wollen und werden Sie Ihren Sohn nicht zu einem gemeinsam Gebet nötigen, Sie sich Ihrerseits aber auch nicht nötigen lassen, auf das Gebet zu verzichten. (Dabei setze ich voraus, dass Sie sich in der Gestaltung von Gebetsform und -inhalt auf Ihre Kinder eingestellt haben.) Sie können Ihrem Sohn zum Beispiel anbieten, dass Sie selbst eine eventuelle Irritation der Freunde anlässlich des Tischgebetes aufgreifen - falls er sich doch entschließt sie mitzubringen. Vielleicht ist das sogar ein Anknüpfungspunkt für ein Gespräch, in dem es um Respekt vor unterschiedlichen Überzeugungen und um recht verstandene Toleranz geht. Schön wäre es, wenn Ihr Sohn mit dem Heranwachsen so viel Eigenstand und Festigkeit gewinnt, dass er seine Haltung selbst vertreten kann.

Und nicht zuletzt mag das Argument wichtig sein, dass es nicht nur um ihn und seine Freunde geht, sondern dass da noch ein Bruder ist, für dessen (auch religiöse) Erziehung Sie ebenso Verantwortung und Sorge tragen.

 
Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln, Heft 39/2005
 

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