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Ingrid Rasch

Wenn eine Tochter mit 16 Jahren von der allein erziehenden Mutter zum Vater ziehen will, birgt das für alle sicher große Probleme. Frust und Selbstvorwürfe der Mutter, Ablösungs- und Verselbständigungswünsche verbunden mit Vorstellungen, die vielleicht nicht unbedingt Wirklichkeit werden, der Tochter und auch eine Lebensumstellung beim Vater mit allen Vor- und Nachteilen für alle verlangen große Anstrengungen und eine möglichst gute Kommunikation.

Diplom-Psychologin Ingrid Rasch antwortet:

Eine souveräne Reaktion ist gefragt

Wie Eltern mit dem Wegzugswunsch ihrer Kinder umgehen sollten

Frage: Ich stehe vor einem ganz großen Problem mit meiner 16-jährigen Tochter. Seit 5 Jahren bin ich allein erziehend, weil mein Mann sich von uns getrennt hat. Er wohnt ziemlich weit entfernt in einer anderen Stadt. Ich habe mich immer mit meiner Tochter gut verstanden, wir waren ein Herz und eine Seele, wie man so sagt.

Jetzt will meine Tochter plötzlich zu ihrem Vater ziehen. Sie will in Kauf nehmen, dass sie dafür die Schule wechseln muss und ihre Freunde verliert. Und das nur, weil ich angeblich viel zu besorgt bin um sie, dass ich sie zuviel ermahne, dass ich mich zuviel um die Schule kümmere.

Jeden Tag gibt es großen Streit. Wir sprechen kaum noch miteinander. Wenn sie zum Vater ziehen würde, hätte sie tagsüber keine Aufsicht und könnte machen, was sie will. Er ist sowieso viel großzügiger als ich, das erzählt sie wenigstens, wenn sie von Besuchen bei ihm zurückkommt. Mit meinem geschiedenen Mann kann ich nicht gut darüber sprechen. Ich habe es versucht, aber er sagt nur, dass er meine Tochter gern bei sich wohnen lassen will. Er meint, sie sei alt genug und bräuchte über Tag keine Aufsicht. Er hat sich all die Jahre nicht besonders gekümmert. Was habe ich denn falsch gemacht, dass ich auf einmal nicht mehr gut genug bin?

Ingrid Rasch: Die Situation, von der Sie berichten, ist mir als Beraterin sehr vertraut. Es kommt gar nicht selten vor, dass jugendliche Kinder den Wunsch haben, ihren „Lebensmittelpunkt“ von einem Elternteil zum anderen zu verlegen. Manchmal sind das trotzige, aber kurzlebige Äußerungen nach einem Streit, manchmal wohl überlegte und durchdachte Wünsche. Es können dies für das Jugendalter typische Formen der Ablösung und Verselbständigung sein.

Es klingt in Ihrer Anfrage eher nicht nach einem Strohfeuer, vielmehr scheint Ihre Tochter bereit zu sein, für ihren Wunsch einiges einzusetzen: Aufgabe der vertrauten Umgebung, der Schule, des Freundeskreises. Es ist sehr verständlich, dass Sie verletzt und traurig sind darüber, dass Ihre Tochter nach so vielen Jahren mütterlicher Sorge und Fürsorge nun zum Vater ziehen will.

Dennoch scheint es mir sinnvoll, Ihre Tochter die Erfahrung des Wechsels machen zu lassen (ich gehe dabei davon aus, dass die Wohnbedingungen das zulassen und dass es eine entsprechende Schule gibt, die sie aufnimmt). Es wäre meines Erachtens allerdings unerlässlich, über die konkreten Einzelheiten mit dem Vater Absprachen zu treffen, nicht zuletzt darüber, wie sich zukünftig der Kontakt zu Ihnen gestalten soll und kann.

Hoffnungen und Wünsche, die Jugendliche mit einem solchen Wechsel verbinden, gehen nach meiner Erfahrung nicht immer in Erfüllung. Der andere Elternteil verhält sich oft in der Alltagssituation anders als erwartet. Dennoch kann es die Chance geben, mit einem anderen (wohlverstanden anderen, nicht besseren!) Erziehungsstil neue Wege zur Lösung von Konflikten zu finden, die sich zwangsläufig aus dem Zusammenleben von Erwachsenen und Jugendlichen ergeben.

Wenn Ihre gemeinsame Tochter zum Vater ziehen sollte, muss das keineswegs heißen, dass Sie in der Erziehung versagt haben. Ihre besondere Lebenssituation der Trennung lädt Ihre Tochter ein, diesen Wechsel auszuprobieren. Je souveräner Sie selbst mit dem Wunsch Ihrer Tochter umgehen, desto eher werden Sie auch auf positive Resonanz im Familien- und Freundeskreis rechnen können.

© 2002 by Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln, 20/2002, mit freundlicher Genehmigung der Kirchenzeitung
 

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