Lernen mit beiden Gehirnhälften | |||
Übersicht |
Beispiel 1 Clustering / Hirnhemisphären rechts nach links / links nach rechts Beispiel 2 |
Von entscheidender Bedeutung in der Frage der Gehirnhemisphären ist nicht ihre Trennung,
sondern ihre Einheit ihr Zusammenwirken. Das Corpus callosum ist ein vielbenutzter Zweiwegkanal,
keine Berliner Mauer. Es sorgt für Austausch und Ganzheit.
Die Informationen jeder Seite sind für das Ganze von gleichem Interesse -
wie die Töne in den Lautsprechern einer Stereoanlage. Balance ist das Schlüsselwort.
Das Schlagzeug muss so weit gedrosselt werden, dass es die Streicher nicht übertönt.
Sehr persönliche Geschichte einer Autorin nach einem Cluster „Anklammern“ |
Fast durchsichtig sind Babyhände. So unglaublich zart - und ein Mund wie eine gefaltete Rose.
Wie überraschend kräftig sein Saugen. Wie ungeduldig.
Der winzige, flaumige Kopf in deine Hand geschmiegt,
wie zerbrechlich und doch hartnäckig und unbezähmbar in seinem Bestreben,
sich aufzurichten und die Welt um sich her in Augenschein zu nehmen.
Wie er dir gegen Brust und Wange drängt und stubst.
Das winzige Ohr rosa gefältelt gegen weiches braunes Haar.
Und der Duft des Neugeborenen, so nahrhaft wie eine Mahlzeit und ebensoviel Zufriedenheit schenkend.
Blaue Augen dicht unter zarten Wimpern. Und im Schlaf das Lächeln eines Engels.
Du klammerst dich eng an den winzigen Körper in deinen Armen und fühlst dich reich und ganz.
Lavelle Leahey |
Die Unmittelbarkeit, die Vielfalt der Details und der intensive Gefühlsausdruck dieses Textes bezeugen,
dass das Kernwort «anklammern» eine heftige Reaktion im Gedächtnisspeicher
der rechten Hemisphäre hervorgerufen und eine Fülle von Gefühlen und Vorstellungsbildern freigesetzt hat.
All das lässt darauf schließen, dass die auf Muster,
Emotionen und Offenheit spezialisierte rechte Gehirnhälfte wesentlich an der ästhetischen Wiedergabe unserer Welt beteiligt ist.
Wie bereits angedeutet, heißt ästhetische Erkenntnis:
1. sich einer in sich geschlossenen Ganzheit bewusst sein, in der unsere übliche Fixierung auf Einzelheiten aufgehoben ist;
2. Befriedigung, die sich einstellt, wenn wir dem chaotischen Zustand der Welt eine Form abgelauscht oder abgerungen haben.
Geistige Aktivität ästhetischer Art, primär eine Funktion der rechten Hemisphäre,
steht am Anfang des kreativen Prozesses.
Doch der schöpferische Akt selbst ist auch auf die besonderen Talente der linken Hemisphäre angewiesen.
Ja, sein besonderes Merkmal dürfte gerade das dynamische Wechselspiel zwischen der globalen Sehweise
und der Wahrnehmung der Details sein.
Die schöpferische Arbeit beginnt mit den globalen Möglichkeiten, die neue Einzelheiten in den Blick rücken;
die Einzelheiten wiederum verändern, profilieren und klären den ursprünglichen globalen Entwurf.
Die rechte Hemisphäre erfasst die Gesamtstruktur, den Zusammenhang,
während die linke Hälfte Einzelheiten und Folgerichtigkeit beisteuert.
Der schöpferische Akt ist ein ständiges Hin und Her
zwischen ganzheitlichem Entwurf auf der einen und Teilansichten und Ordnungsprozessen auf der anderen Seite - ein Wechselspiel,
aus dem sich das Ganze in immer klareren Konturen herausschält.
Daraus folgt, dass kreativer Sprachgebrauch die aktive Mitwirkung der rechten Hemisphäre voraussetzt.
Beim natürlichen Schreiben müssen beide Hemisphären eng zusammenarbeiten.
Das natürliche Schreiben wird mühsam bleiben, solange es nicht gelingt,
die besonderen Fähigkeiten beider Gehirnhälften in den Prozess einzubeziehen.
Ein durch das Clustering geschärfter Sinn für die wirklich bedeutungsvollen Elemente,
ein empfindliches Ohr für sprachliche Nuancen, der Blick für das Ganze,
die Offenheit für Gefühle - alle diese Merkmale rechtshemisphärischen Denkens
schaffen ein Höchstmaß an schöpferischer Freiheit.
Wenn diese Voraussetzung gegeben ist,
wird sich die linke Hemisphäre automatisch einschalten und einen ganz natürlichen
und scheinbar unerschöpflichen Fluss von Wörtern hervorbringen.
In den letzten Jahren ist es den Gehirnforschern gelungen, die „Black box“ zu öffnen und festzustellen,
was sie tatsächlich enthält.
Zwar stehen wir mit unseren Erkenntnissen erst am Anfang,
doch haben bereits diese ersten Ergebnisse unsere Vorstellungen vom schöpferischen Prozess bestätigt und vertieft
und zugleich neue Möglichkeiten eröffnet, uns über ihn zu verständigen.
Für alle die, die eigentlich schon immer schreiben wollten und nur meinten,
sie könnten es nicht, ergeben sich daraus ganz neue Lern- und Lehrverfahren.
Das Clustering bricht die Vorherrschaft, die wir gewöhnlich der systematischen Arbeitsweise der linken Gehirnhälfte zubilligen, zugunsten der scheinbar zufälligen rechtshemisphärischen Assoziationen, die in nichtlinearer Form zu Papier gebracht werden.
Beim Clustering spielen linkshemisphärische Sprachmerkmale wie Syntax, Folgerichtigkeit und Kausalverknüpfungen kaum eine Rolle. Infolgedessen haben Wörter die Tendenz, ihre herkömmliche begriffliche Bezeichnungsfunktion aufzugeben und Bildcharakter anzunehmen, von wörtlicher Bedeutung zu komplexen und poetischen Vorstellungsbildern überzugehen.
Das Clustering eröffnet der rechten Gehirnhälfte die Möglichkeit, die für ihre Form der Informationsverarbeitung charakteristischen unverbrauchten Wahrnehmungen und bedeutungsvollen Muster zu entwickeln.
Das Clustering bezieht die rechte Hemisphäre dadurch ein, dass es dem Fluss der emotional gefärbten Bilder, Ideen und Erinnerungen freien Lauf lässt, bis sich der erste, vorläufige Entwurf einer Ganzheit abzeichnet und der Schreibprozess mühelos in Gang kommt.
Das Clustering macht sich das kindliche, staunende, unschuldige, neugierige, spielerische, offene, flexible, nach Mustern suchende Denken zunutze, das ich als bildlich bezeichnet habe und dank dessen wir ein kreatives Spiel mit Sprache, Ideen, Rhythmen, Bildern, Lauten und Mustern entfalten können, bevor wir uns auf eine bestimmte Richtung festlegen. Kurz, wir erweitern das Spektrum unserer Möglichkeiten.
Der Schlüssel zu dem komplexen Umgang mit sprachlichen Symbolen, den das Schreiben gewiss darstellt, ist das Zusammenwirken beider Denkweisen. Kreative Leistungen bringen Befriedigung, bereichern und stabilisieren unser Leben. Sie geben uns die Möglichkeit, unsere Individualität zum Ausdruck zu bringen und plötzlichen Einsichten in unsere vielschichtige Existenz Gestalt zu verleihen.
Reaktion der linken Hemisphäre
|
Reaktion der rechten Hemisphäre
|
Reaktionen des begrifflichen Denkens sind durch ein hohes Maß an wortwörtlichem Verständnis gekennzeichnet.
Sie lassen sich im Wörterbuch nachschlagen, sie gehen nicht über das Gegebene hinaus, sie sind genau.
Reaktionen des bildlichen Denkens tendieren zu einem metaphorischen Verständnis (der Brei wird zum Kind);
sie entwerfen ein komplexes Bild oder eine Reihe miteinander verknüpfter Bilder, sie sind individuell,
sie streben nach Geschlossenheit, sie gehen über das Gegebene und die wortwörtliche Bedeutung hinaus.
Der fertige Text ist das Ergebnis des Zusammenwirkens beider Denkweisen, was uns wieder einmal zeigt,
dass schreiben im Idealfall ein komplexer schöpferischer Akt ist,
der ein zeitlich geordnetes Zusammenspiel beider Gehirnhälften verlangt.
Ich möchte diese Übung am Beispiel einer meiner Schüler, Art Carey, demonstrieren.
Die Reaktion seines begrifflichen Denkens auf das Sprichwort lautete:
Ein rollender Stein ist immer frei von Moos, weil er nicht so lange an einem Ort bleibt,
dass sich Lebewesen an seiner Oberfläche festsetzen können.
Ein weiteres Beispiel:
Angeregt durch eine Napoleon-Statue des Bildhauers Canova schrieb ein Schüler bereits nach wenigen Tagen seine erste Geschichte.
«Es war nicht verabredet, dass ich nackt sein sollte!» schrie Kaiser Napoleon.
«Ich zeige mich der Öffentlichkeit nur im bekleideten Zustand! Ich bin mein eigenes Geschöpf!
Ich trete nur als ich höchstpersönlich auf! Ich bin der größte Schauspieler der Welt.
Gestern noch kleiner Korporal. Heute ein Kaiser. Morgen noch mehr.
Ich kann mich nicht unbekleidet in der Öffentlichkeit zeigen.
Ich muss stets einen geschäftigen Eindruck machen, auch in Stein!»
|
oben | home | Inhalt: Werner Plack | web design: hp maly | 2007 | zurück |